Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 8  Schwerpunkt Drama – „Bühne für Konflikte“ 110 Textkompetenz Literarische Bildung Der außerliterarische Hintergrund (der Kontext) des Dramas Büchner verbindet im „Woyzeck“ Elemente aus Mordfällen aus den Jahren 1817 und 1821. Es handelt sich um die Fälle Daniel Schmolling und Johann Christian Woyzeck, die ihre Geliebten ermordeten. Beide Fälle wurden in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Die Person der Täter und Fragen von Moral und Zurechnungsfähigkeit erregten Interesse. Büchner orientiert sich häufig an den Prozessakten, wie etwa der Vergleich der Mordszene mit den Aussagen des Mörders Schmolling in der Originalschreibung der Vorlage zeigt: Die L. ging jetzt in das Haus ihrer Herrschaft zurück, das Abendbrot zu bereiten, doch bat ich sie, dass sie wieder herauskommen und mich begleiten möchte. Sie verweigerte dies anfangs, da sie keine Zeit dazu habe. Allein ich bat sie so lange, bis sie versprach, wenn sie könnte, wieder herauskommen, was nach einer halben Stunde geschah. […] Wir gingen hierauf zusammen die Allee hinunter […]. Ich bat die L. sich noch ein we- nig bei mir zu setzen, weil ich sie im Sitzen besser als im Stehen ermorden konnte. Wir setzten uns an einen der Weidenbäume nieder, und als wir hier, neben ein- ander saßen, sie links von mir, umarmte ich sie mit meinem linken Arme, und fragte sie: Wenn ich hier sterben täte, würdest du dann wohl mit mir sterben? Da antwortete sie, dass ich mir doch solche Gedanken nicht machen sollte, doch setzte sie hinzu: wenn du stirbst, dann sollte kein Anderer mehr an meine Seite kommen. Als sie dieses antwortete, hatte ich mein Messer schon aus dem Ärmel herausgenommen, und hielt es in der Hand. Dieses nahm ich jetzt, und stieß ihr dasselbe in die Herzgrube, wobei ich noch sagte: Nun so soll auch keiner an deine Seite kommen, und dann ist auch hier der Fleck, wo wir beide sterben wol- len. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Die unterschiedliche Struktur von Texten erkennen Erläutern Sie die formalen und inhaltlichen Unterschiede zwischen der Aussage von Schmolling und der entsprechenden Szene aus Büchners „Woyzeck“. 8.11 auch eher an „Viehzucht“ denken als an menschliche Nachkommenschaft. Der Tambourmajor setzt auf die attraktive Wirkung der Uniform: „Wenn ich am Sonntag erst den großen Federbusch hab’ und die weißen Handschuh, Donnerwetter, Marie […]“. Auffällig ist, dass Marie mit Ausnahme der Beschreibung des Majors sehr oft kurze Ausrufesätze verwendet, was die Emotionalität der Begegnung hervorhebt. Interpretation 3: In dieser Szene fällt auf, dass der Redeanteil Woyzecks fast null ist, sein einziger Satz ist die Vorausdeutung auf seinen Racheplan: „Eins nach dem andern“. Der fast völligen Sprachlosigkeit Woyzecks steht die sprachliche Überlegenheit des Tambourmajors gegenüber. Woyzeck kann auf die Worte des Majors auch nicht eingehen, da diese ja kein Kommunikationsangebot, sondern bloße Beschimpfung sind. Woyzeck bleibt auf seine Körpersprache reduziert, auch der Nebentext führt einen total unterlegenen Woyzeck vor: „[S]ie ringen, Woyzeck verliert“, „setzt sich erschöpft zitternd auf die Bank“. Interpretation 4: Diese Szene enthüllt in Form eines Monologs dem Publikum den Mordplan Woyzecks. Woyzecks Sprache ist auf Einzelwörter und unvollständige Sätze reduziert. Wiederholungen (Stich, stich“), Aufschreie, Interjektionen (He“) dominieren. Wie schon in der Eingangsszene mischen sich innere Stimmen („Soll ich? Muss ich?“) mit den von Woyzeck auf seine Weise gedeuteten äußeren Wahrnehmungen: „Hör ich’s da noch, sagt’s der Wind auch?“ Der von Woyzeck für Marie verwendete Name „Zickwolfin“ statt des Vornamens Marie zeigt, dass keine positive persönliche Beziehung von Woyzeck zu Marie mehr besteht. Das Publikum weiß jetzt mehr als die bedrohte Marie. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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