Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

109 Textkompetenz Mündliche Kompetenz Literarische Bildung MARIE: Ich muß fort, das Nachtessen richten. WOYZECK: Friert’s dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heiße Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht’ ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. – Friert’s dich? Wenn man kalt is, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren. MARIE: Was sagst du? WOYZECK: Nix. (Schweigen.) MARIE: Was der Mond rot aufgeht! WOYZECK: Wie ein blutig Eisen. MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blaß. – (Er holt mit dem Messer aus.) – Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe! WOYZECK: (sticht drauflos) Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! So! – Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. – (stößt nochmals zu) – Bist du tot! Tot! Tot! – (Er läßt das Messer fallen und läuft weg.) Schritt 6: Der Abschluss Sie haben nun die wesentlichen Faktoren eines Dramas beschrieben, untersucht, analysiert und Erkenntnisse gesammelt, die Sie auch für eine schriftliche Interpretation von dramatischen Texten verwenden können, und Sie können nun zum Schluss kommen. Die Abschlussmöglichkeiten – wie auch die Einleitungsmöglichkeiten – für eine Interpretation sind Ihnen aus den Interpretationen epischer Texte (Sprachraum 6) und lyrischer Texte (Sprachraum 7) bekannt: ƒƒ Welche Intention hat der Text? Ist er typisch für eine bestimmte Epoche, beschreibt er Fakten einer bestimmten Zeit/Situation? ƒƒ Welche mögliche Wirkung hat er auf mich und eventuell auf andere? Welche Reaktionen, Gefühle, Ideen löst er in mir aus? 10 12 14 16 18 20 22 Den zusammenhang zwischen der sprachlichen Gestaltung einer Szene und ihrer Handlung bestimmen Beschreiben Sie das formal und inhaltlich Gemeinsame an Maries Sätzen. Untersuchen Sie, welche von Woyzeck verwendeten antithetischen Adjektive und entsprechenden Verben auf den geplanten Mord vorausdeuten. Erläutern Sie, welche Funktion die Beschreibung des Mondes hat. 8.8 In der Gruppe/Klasse Meinungen zu Intentionen und den Eindrücken eines Textes austauschen Diskutieren Sie in der Gruppe oder Klasse über die Intentionen, die Büchner mit „Woyzeck“ hatte, über den persönlichen Eindruck, den das Drama auf Sie gemacht hat und – anhand von Informationen über die literarische Epoche des „Vormärz“ –, ob Büchners Drama für diese Epoche charakteristisch ist. Halten Sie Ihre Erkenntnisse stichwortartig fest. 8.9 8.10 Textinterpretationen überprüfen und zuordnen Ordnen Sie die folgenden von Schülerinnen und Schülern in Gruppenarbeit verfassten Analysen der oben zitierten Dialoge und Monologe aus „Woyzeck“ den entsprechenden Szenen zu. Interpretation 1: Diese Szene zeigt Woyzecks psychische Verfassung. Er fürchtet die Stille, hat Halluzinationen sieht gespensterhafte Erscheinungen, denkt an Tod und Weltende: „Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen“. Verantwortlich dafür sind für ihn „die Freimaurer“. Die sehr kurzen Sätze in Prosa (Verse würden unecht wirken), davon viele Ausrufsätze, und die zahlreichen Wiederholungen deuten auf Woyzecks Getriebenheit. Der Nebentext („starrt in die Gegend“, „stampft auf den Boden“, „reißt ihn in’s Gebüsch“) verstärkt den Eindruck der Verwirrtheit Woyzecks. Seine Verstörung wird noch unterstrichen durch den sprachlichen Gegensatz zu Andres, der ein harmloses Lied singt. Woyzeck will zwar, dass Andres etwas redet („Red was!“), lässt ihm aber gar keine Gelegenheit dafür. Woyzeck zeigt sich als ein von Ängsten geprägter Charakter. Der Ort passt mit seinem Gebüsch zur trostlosen Stimmung Woyzecks. Interpretation 2: Charakteristisch für diesen Dialog ist das von den Gesprächspartnern verwendete Vokabular. Beide gebrauchen füreinander Vergleiche aus dem Tierreich („Stier“, „Löw“, „Wild Tier“) und betonen so die wechselseitige körperliche, „animalische“ Faszination. Der Begriff „Zucht“ für mögliche gemeinsame Kinder lässt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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