Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

101 Textkompetenz Schriftliche Kompetenz Text 2 Uwe Dick: Aus euren Augen glotzen einzig Münzen (1984) Fürs Leben seid ihr blind, ihr wohlgenährten Leichen: Es lebt, wer sieht. […] Nein, euren way of life kann ich nicht gehen! Er führt doch nur nach Profitopolis. […] Eure Citys mit just euren Dutzendgesichtern, euer Man-lebt statt Ich-lebe! Euer Geschrei und sonst nichts, wenn Geldmacher eure Flüsse vergiften, die Wiesen teeren, die Bäume köpfen … nein, diesen way of life kann ich nicht gehen. Es trennen uns Welten, Herr Nachbar! Woher ich dies wisse? Nun, ich sehe, Herr Nachbar […]. Ich seh’ Ihr dummes Gesicht bei der Frage des Kindes:
„Warum sind die Sterne so schön?“ Da standen Sie in der Mittagssonne und nannten die Wiesen vor ihrem Haus einen „toten Grund“, weil noch nicht bebaut Ein toter Grund? Mit Blumen und Schmetterlingen? Es trennen uns Welten, Herr Nachbar! Denn nichts, Mondrauten 1 nicht und Mummelkronen 2 , Goldkäfer nicht und Feuersalamander, […] nichts Lebendes berührt Sie, Herr Nachbar! Vieles vermag Schönheit. Aber das Eis entriegelt sie nicht. Das Eis der Leute mit dem eiskalten Blick, das Eis der eiskalten Rechner, das schmutzige, schuttbeladene Eis, das Wälder und Tiere verbannt und bald auch beiseite schiebt uns Menschen – das hässliche Eis zu brechen, ist Schönheit zu schwach. Zuckend, zerrissen das Perlmutthemdchen, ein Fisch auf scherbigem Eis, stirbt die Schönheit. Und Sie schauen zu, Herr Nachbar! mit frostigem Lächeln und zählen mechanisch zum tausendsten Male Ihr Geld. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 42 44 28 30 32 34 36 38 40 1 Farnart 2 Seerosengewächs Texte analysieren und vergleichen Welches Thema lässt der Gedichttitel erwarten? An welche Personen(gruppen) wendet sich das lyrische Ich, welche Kritik übt es an ihnen? Mit welchen Einzelbeispielen illustriert das Gedicht diese Kritik? Vergleichen Sie die Stimmung der beiden Gedichte von Tucholsky und Dick. Welches von den beiden Gedichten scheint Ihnen die wirkungsvollere Kritik am ungebremsten „Haben-Wollen“ zu sein? Ihr Freund/Ihre Freundin sucht für eine Präsentation im Deutschunterricht ein gesellschaftskritisches Gedicht. Schreiben Sie eine Empfehlung für eines der beiden Gedichte in der Länge von 405 bis 495 Wörtern. Stellen Sie das gewählte Gedicht vor, gehen Sie auf inhaltliche Besonderheiten ein, vergleichen Sie es mit dem anderen Gedicht und begründen Sie Ihre Wahl. a b c d 7.10 Text 3 Erich Fromm: Haben oder Sein (1976) In der Existenzweise des Habens ist die Beziehung zur Welt die des Besitzergreifens und Besitzens, eine Bezie- hung, in der ich jedermann und alles zu meinem Besitz machen will. [Die] Existenzweise des Seins bedeutet Lebendigkeit und persönliche Bezogenheit zur Welt. […] Bevor wir uns einigen einfachen Beispielen zu- wenden, aus denen die Unterschiede der beiden Exis- tenzweisen deutlich werden, sei noch eine wichtige Erscheinungsweise des Habens, das Einverleiben, er- wähnt. Sich etwas einzuverleiben, wie beispielsweise beim Essen und Trinken, ist eine uralte Form des Inbe- sitznehmens. Der Säugling neigt in einer bestimmten Phase seiner Entwicklung dazu, Dinge, die er haben möchte, in den Mund zu stecken. Das ist seine Art des Besitzergreifens, wenn ihm seine körperliche Entwick- lung noch nicht gestattet, sein Eigentum auf andere Weise unter Kontrolle zu halten. Den gleichen Zusam- menhang zwischen Einverleiben und Besitz finden wir in vielen Formen des Kannibalismus. Indem ich einen anderen Menschen esse, eigne ich mir seine Kräfte an […]. Aber die meisten Objekte kann man sich natür- lich nicht physisch einverleiben. […] Es gibt viele For- men der Einverleibung, die nicht mit körperlichen Bedürfnissen verbunden sind. Der Konsumentenhal- tung liegt der Wunsch zugrunde, die ganze Welt zu verschlingen, der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit. Das wird offenkundig bei 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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