Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 7  Schwerpunkt Lyrik – „Die große Vielfalt“ 100 Sprachreflexion Textkompetenz Literarische Bildung THEMA 3: DAS GElD UnD DAS HABEn-WOllEn Text 1 Kurt Tucholsky: Das Ideal (1927) Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit: Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, […] eine süße Frau voller Rasse und Verve 1 – (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) – eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm. Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste, acht Autos, Motorrad – alles lenkste natürlich selber – das wär ja gelacht! Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd. Ja, und das hab ich ganz vergessen: Prima Küche – erstes Essen – alte Weine aus schönem Pokal – und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion. Und noch ne Million und noch ne Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit. Ja, das möchste! Aber, wie das so ist hienieden: manchmal scheints so, als sei es beschieden nur pöapö 2 , das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld, dann hast du nicht Käten 3 ; hast du die Frau, dann fehln dir Moneten. […] Tröste dich. Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Dass einer alles hat: das ist selten. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 1 Beschwingtheit 2 peu à peu (stückweise) 3 Kät(h)e: (seltener) Frauenname Texte analysieren, den zusammenhang von Form und Inhalt erläutern Lokalisieren Sie mit Hilfe von Atlas, Lexikon, Internet die in Strophe 1 genannten geografischen Angaben. Erläutern Sie im Anschluss daran, ob der Gedichttitel als realistisch-verwirklichbar oder ironisch-satirisch aufzufassen ist! Beschreiben Sie, worauf sich die Wünsche des „Du“ beziehen, und welche neuen „Wunschdetails“ von Strophe zu Strophe erscheinen. In welchen Strophen führt das Gedicht in die „Wunschvilla“ hinein, wo wieder hinaus? Mit welchem Vers führt das Gedicht von der Wunschwelt in die Realität? Wie verhält sich die Realität zur Wunschwelt? Welche Verse formulieren eine resignative, aber realistische Erkenntnis? Erläutern Sie, ob man das Gedicht auch als gesellschaftliche Kritik auffassen könnte! Das Gedicht weist zwar ein unregelmäßiges Versmaß auf, aber, mit Ausnahme der letzten Strophe und einigen Waisen (Verszeilen ohne Reim), ein regelmäßiges Reimschema. Bestimmen Sie diese dominierende Reimform, die Waisen, und das Reimschema der letzten Strophe. Wo finden sich unreine Reime? a b c d e 7.8 Sprachliche Redensarten und wendungen erkennen Erklären Sie, was die Redewendung „einen Stich haben“ in Vers 35 bedeutet. Auf welche Verse bezieht sich diese Redewendung im Text konkret? Erläutern Sie die Bedeutung folgender Redensarten: jemanden im Stich lassen, Stich halten, den letzten Stich machen, hieb- und stichfest sein, jemanden ausstechen, jemandem einen Stich versetzen, einen Abstecher machen, das ist nicht stichhaltig, jemanden bestechen. Aus der Sprache welcher Gesellschaftsschicht und welcher Zeit können diese Redewendungen stammen? a b 7.9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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