Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

93 Weshalb ist es für eine Autorin/einen Autor offensichtlich wichtig, den Personen von Anfang an Namen zu geben? Ändern Sie in einem Buch, das sie gerne gelesen haben, die Namen der Hauptfiguren. Welche Konsequenzen könnten sich daraus ergeben? Ordnen Sie folgende Textsorten den Begriffen fiktional beziehungsweise nicht fiktional zu; beachten Sie, dass manche Textsorten fiktionale („erdichtete) und nicht fiktionale („sachlich überprüfbare“) Elemente enthalten können: Roman, Reportage, Bericht, Gebrauchsanweisung, Protokoll, Märchen, Biographie, Annonce, Autobiographie, Statistik, Werbeprospekt. Frage 3: Wie kann man gute Literatur von schlechter unterscheiden? Würden wir zu den Autoren gehören, für die es beim Schreiben von Büchern vor allem auf den finanziellen Erfolg ankommt, müssten wir möglichst rasch zu den gängigen Klischees gelangen, die offenbar immer wie- der gern gelesen werden. In diesem Fall würde sich Philipp, der verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wur- de, spontan in die junge hübsche Schwesternschülerin verlieben (er soll etwa siebzehn sein), die aber bereits ein Verhältnis mit dem jungen attraktiven Assis- tenzarzt hat. Gegen dessen gepflegtes Oberlippenbärt- chen, ansehnliches Monatseinkommen, Doktortitel und Sportflitzer kommt Philipp nicht an; eigentlich sind er und Kathrin jetzt schon überflüssig. Ein Arzt-Krankenschwester-Roman bahnt sich an. Denkbar wäre aber auch ein Agentenroman. Denn selbstverständlich wäre der Chefarzt des Krankenhau- ses ein gefährlicher Spion. Und der Assistenzarzt könnte der clevere Gegenagent sein, der den anderen überführen und verhaften soll. Es entwickelt sich eine wilde Verfolgungsjagd durch Keller, Krankenhausbet- ten und Leichenhalle. Zum Schluss bewerfen sich die Spione mit Eierhandgranaten durch ein Toilettenfens- ter. Manche Leser finden so etwas äußerst spannend, vor allem: Sie kaufen so etwas. […] Aber wie können wir das begonnene Buch auf eine Weise weiterführen, dass es einerseits für Jugendliche lesenswert ist, andererseits kein seichtes – wenn auch vordergründig spannendes – Geschwafel enthält? Wir könnten zum Beispiel Philipp und Kathrin auf der an- deren Straßenseite ankommen lassen; und während sie auf das Lokal zugehen, treffen sie Kathrins Mutter. Es könnte sich eine Auseinandersetzung entwickeln, die Kathrin peinlich ist (Mutter: „Schön, dass man dich auch mal wieder trifft!“), sodass sie mit Philipp abhaut. Im Lokal erzählt Kathrin vielleicht von ihren Schwie- rigkeiten zu Hause, dass ihre Eltern sich gerade schei- den lassen und sie weg will. Philipp könnte sich ent- schließen, ebenfalls von zu Hause wegzulaufen. Wir lassen die beiden ihre heimlichen Vorbereitungen tref- fen und begleiten sie in eine Großstadt, wo sie vergeb- lich Fuß zu fassen versuchen. Oder es kommt im Lokal zu einem Streit zwischen dem Geschäftsführer und einigen Ausländern, die nicht bedient werden sollen, weil sie angeblich zu we- nig verzehren und zu viel „palavern“. Unter den Aus- ländern könnte sich ein Klassenkamerad von Philipp und Kathrin befinden, dem sie helfen wollen. Auf die- se Weise werden sie in den Streit verwickelt und eben- falls aus dem Lokal gewiesen. Sie könnten sich ent- schließen, den Ausländern bei der Durchsetzung ihrer Rechte zur Seite zu stehen. Dabei entstünden Aus- einandersetzungen in der Schule und im Elternhaus; womöglich würden sich einige Lehrer und Eltern aber auch hilfsbereit zeigen. Vielleicht wäre diese Geschich- te ebenso spannend wie die von den beiden Spionen, nur nicht so blödsinnig. Wolfgang Bittner zum Thema „Gute und schlechte Literatur“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 FIKTIONALE UND NICHT FIKTIONALE TEXTE Texte, in denen die Autorin/der Autor souverän mit „ihren“/„seinen“Personen umgehen kann, weil sie/er keinen Wahrheitsbeweis antreten muss, dass sich ein Geschehen tatsächlich so und nicht anders vollzogen hat, nennt man fiktionale Texte. Schon der griechische Philosoph Aristoteles unterscheidet in seiner „Poetik“, dem ersten grundlegenden theoretischen Werk über die Literatur, fiktionale Texte von nicht fiktionalen Texten, in denen das, was sie berichten, real und überprüfbar ist: Der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch, dass der eine Verse schreibt und der andere nicht; […] sie unterscheiden sich viel mehr darin, dass der eine erzählt, was geschehen ist, der andere, was geschehen könnte. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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