Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

Sprachraum 7 Sprache: Entstehung und Entwicklung 82 Textkompetenz Sprachreflexion Kompetenztest 7 Hauptkompetenz und Teilkompetenz Sprachreflexion: Nachdenken über Bau, Funktionsweise, Verwendungsbedingungen der Sprache; mit historischer Sprachentwicklung vertraut werden Weitere geforderte Kompetenzen Textkompetenz Hilfsmittel keine Zeitbedarf Teil 1: 15 Minuten; Teil 2: 10 Minuten Sind manche Sprachen anderen überlegen? Die Sprachgelehrten früherer Zeiten waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, andere Sprachen herabzuwürdigen. Vor allem den Sprachen neu ent- deckter Völker standen sie oftmals völlig verständ- nislos gegenüber. Der deutsche Sprachgelehrte Jo- hann Tetens schüttelte über die Verständigungsfor- men der amerikanischen Ureinwohner den Kopf. Im Jahr 1772 schrieb er: „Es giebt Völker in Ameri- ca, deren Sprache so arm ist, daß man darinnen weiter nichts auszudrücken im Stande ist, als einige […] Gegenstände und die gemeinsten Handlungen ihres wilden und einfachen Lebens. Es ist auch an und für sich […] fast klar, daß die Sprachen roher Völker weit weniger articulirt sind, als die der culti- virten.“ Als die Sprachforscher im späten 19. Jahrhundert begannen, mit wirklich wissenschaftlichen Metho- den zu arbeiten, gaben sie die Suche nach einer überlegenen Sprache bald auf. Denn sie sahen ein, dass die Idee von höherwertigen und minderwerti- gen Sprachen unsinnig ist. Übrig geblieben ist höchstens ein Vergleich zwi- schen verschiedenen Eigenheiten der Sprachen. So lässt sich nicht bestreiten, dass das Russische eine aufwendigere Deklination hat als andere Sprachen. Die Russen können Hauptwörter in sechs verschie- dene Fälle setzen, im Deutschen sind es vier, Italie- nisch oder Spanisch kommen ganz ohne Deklina- tion aus. Aber sollte man deshalb behaupten, dass Russisch wertvoller oder anspruchsvoller ist als Italienisch? […] Ebenfalls beliebt ist der Vergleich der Wortschätze. So gilt Englisch als die Sprache mit den meisten Wörtern. Je nach Zählung sind es 600.000 bis 800.000. Deutsch fällt bei so einem Ver- gleich schon deutlich zurück: Es zählt „nur“ 300.000 bis 500.000 Wörter. Und Französisch kommt auf rund 100.000 Wörter. Kann man deshalb Franzö- sisch als „einfach“ bezeichnen? Die Zahl der Wörter, über die eine Sprache theore- tisch verfügt, ist imAlltag übrigens ziemlich gleich- gültig. Denn nicht einmal der gelehrteste Professor schöpft den Wortschatz einer Sprache auch nur an- nähernd aus. Im Gegenteil: Mit den rund 200 häu- figsten Wörtern lässt sich im Deutschen schon die Hälfte eines beliebigen Textes bestreiten. Für ein gängiges Alltagsgespräch genügen in allen Spra- chen 400 bis 800 Wörter. […] Inzwischen gibt es deshalb unter denen, die sich ernsthaft mit Sprache beschäftigen, niemanden mehr, der die eine Aus- drucksweise für höherwertig hält und die andere für minderwertig. Der britische Forscher David Crystal fasst das trocken zusammen: „Die Über- zeugung, dass bestimmte Sprachen anderen überle- gen seien, ist zwar verbreitet, entbehrt jedoch jeder sprachwissenschaftlichen Grundlage.“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 KT 1 Lesen Sie den Text, und füllen Sie die angeschlossene Tabelle aus. Stellen Sie Falsches richtig! wahr falsch 1. Die Sprachwissenschaft achtete schon immer andere Sprachen. 2. Ein Beispiel für diesen Respekt ist der Sprachforscher Johann Tetens. 3. Er erforschte die Sprachen der afrikanischen Völker. 4. Natürlich ist die Sprachwissenschaft bestrebt, Sprachen zu vergleichen. 5. Russisch ist wertvoller als Spanisch, da es mehr Fälle hat. 6. Was den Wortschatz betrifft, liegt Englisch an der Spitze. 7. Mit weniger als 1000 Wörtern kann man im Alltag gut zurechtkommen. 8. Die Meinung, eine Sprache sei einer anderen überlegen, ist falsch. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=