Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

163 Sprachreflexion Textkompetenz So sprechen Sie! – Sprechen Sie so? Nicht nur das „Jugendwort“ des Jahres interessiert die Wissenschaft. Die Jugendsprache insgesamt wird für die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler zum immer intensiveren Forschungsgebiet, wie der folgende Zeitungsbericht zeigt. Doris Griesser Studie: So spricht Österreichs Jugend Grazer Germanisten haben die Gespräche junger Menschen von Dornbirn bis Eisenstadt belauscht und dabei eine Reihe grammatikalischer Beson- derheiten entdeckt. Graz – „Woasch eh, der hot voll a zache Fressen!“ Dass dieses Zitat einer wissenschaftlichen Arbeit und nicht einem Polizeiverhör zur Aufklärung einer Schlägerei entnommen ist, mag überraschen. Tat- sächlich entstammt der Satz einem Gespräch zwi- schen jungen Leuten in einem Innsbrucker Jugend- zentrum, das der Germanist Arne Ziegler und sein Team für ein vom Wissenschaftsfonds FWF geför- dertes Forschungsprojekt mit demTitel „Jugendspra- che(n) in Österreich“ mitgeschnitten haben. Dabei geht es den Forschern weniger um die gerade angesagten Vokabel und Begriffe in der Kommuni- kation zwischen Jugendlichen als vielmehr um Ver- änderungen in der sprachlichen Tiefenstruktur, also der Grammatik. Was am Eingangszitat interessiert, ist also nicht so sehr die Verwendung des Adjektivs „zach“ für „hässlich“, sondern die markanteWortstel- lung in diesem Satz: „Die sogenannte externe Inten- sivierung der Nominalphrase – ,voll eine hässliche Fresse‘ statt ,eine voll hässliche Fresse‘ – kommt in der Erwachsenensprache so gut wie nicht vor“, sagt Projektmitarbeiterin Melanie Lenzhofer. Um sicherzugehen, dass es sich bei den ermittelten Besonderheiten wirklich um jugendspezifische For- men handelt, haben die Forscher jedem aufgezeich- neten Gespräch unter Jugendlichen zum Vergleich eines unter Erwachsenen aus der gleichen Region zur Seite gestellt. Außerdem kommen die Wortspender aus sämtlichen Landeshauptstädten sowie den jewei- ligen ländlichen Regionen, damit auch eventuelle Stadt-Land-Unterschiede erfasst werden können. „Wir haben bisher relativ große Unterschiede zwi- schen städtischen und ländlichen Jugendjargons be- obachtet“, sagt Lenzhofer. So scheinen Jugendliche in größeren Städten beispielsweise das Präteritumdeut- lich häufiger als Gleichaltrige auf dem Land zu ver- wenden, berichtet die Germanistin. Warum sich die- se im gesprochenen Österreichisch unübliche Zeit- form („ich sah“ statt „ich habe gesehen“) gerade bei der städtischen Jugend immer mehr durchsetzt, ist noch ungeklärt. „In Deutschland synchronisierte oder produzierte Fernsehserien, in denen das Präte- ritum häufig vorkommt, werden ja auch von den Ju- gendlichen in ländlichen Regionen konsumiert“, wundert sich Lenzhofer. „Aber möglicherweise ist dort der Einfluss des Dialekts noch stärker.“ Ausgeprägter Dialekt Die häufig vorgebrachteThese vom allgemeinenDia- lektschwund bei jungen Menschen können die For- scher jedenfalls nicht bestätigen. Mitunter zeige sich sogar ein gegenteiliges Bild: „In bestimmten Cliquen wird bewusst ein ausgeprägter Dialekt als Gruppen- merkmal gepflegt“, sagt die Germanistin. Aber ist es neben der regionalen Herkunft nicht auch eine Frage von sozialem Hintergrund und Bildungsstand, wie Jugendliche sprechen? „Wir gehen nicht davon aus, dass es nur eine Jugendsprache gibt“, betont Lenzho- fer. „Da die einzelnen Jugendgruppen sehr heterogen sind, gibt es selbstverständlich auch viele unter- schiedliche Jugendsprachen.“ Aus diesem Grund haben die Forscher von allen Ju- gendlichen, die an ihrem Projekt teilnahmen, auch Daten wie den eigenen und den elterlichen Bildungs- hintergrund und Ähnliches erhoben. „Damit können wir gegebenenfalls erkennen, welche sozialen Fakto- ren bestimmte sprachliche Formen fördern“, erklärt Projektleiter Arne Ziegler. Die entsprechenden Ergeb- nisse liegen allerdings noch nicht vor, zurzeit ist man nochmit der äußerst aufwändigenArbeit beschäftigt, die Aufnahmen schriftlich zu dokumentieren. An die ein einhalb Stunden dauert es, bis eine einzige Minute Aufnahmematerial exakt in schriftliche Form übertragen ist. Immerhin sprechen bis zu fünf Leute oft gleichzeitig über mehrere Themen. […] Syntaktische Verkürzung Während hier also genaueste Detailarbeit gefordert ist, lässt sich im untersuchten Sprachmaterial selbst eine gewisse Neigung zur Minimierung des sprachli- chen Aufwands feststellen. Die Germanisten spre- chen von „syntaktischer Verkürzung“, die sich etwa durch das Einsparen von Artikeln („Hast du Prüfung gehabt?“ statt „Hast du eine/die Prüfung gehabt?“) oder imWegfallen von Präpositionen äußert („I will nit immer Juze gammeln“ statt „Ich will nicht immer im Jugendzentrum herumhängen“). 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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