Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

155 O Mädchen, Mädchen, Wie lieb ich dich! Wie blinkt dein Auge, Wie liebst du mich! So liebt die Lerche Gesang und Luft, Und Morgenblumen Den Himmelsduft, Wie ich dich liebe Mit warmem Blut, Die du mir Jugend Und Freud’ und Mut Zu neuen Liedern Und Tänzen gibst. Sei ewig glücklich, Wie du mich liebst. Textkompetenz Literarische Bildung Den gedanklichen Gehalt und die Absicht von Aphorismen erfassen; eine Empfehlung schreiben Ordnen Sie die zitierten Aphorismen jeweils in eine der folgenden Kategorien ein: Religionskritik, politische Kritik, menschliche Schwächen und Absonderlichkeiten, Denken und Bildung, Kritik an Vorurteilen, mangelnde Persönlichkeit. Sollten Sie für Ihre Zuordnung neue oder andere Kategorien benötigen, führen Sie diese ein! Arbeiten Sie in Gruppen, und vergleichen Sie Ihre Zuordnung mit denen der anderen Gruppen. Ihre Freundin/Ihr Freund „plagt sich“ mit Verwandten, die ihre Nasen immer in fremde Angelegenheiten stecken, jeden Fehler anderer heftig bekritteln und im Übrigen immer mit der augenblicklichen Mehrheitsmeinung übereinstimmen und äußerst bedacht darauf sind, ja nicht aufzufallen. Empfehlen Sie Ihrer Freundin/Ihrem Freund, ihre/seine Verwandten auf diese ihre Eigenschaften ganz „dezent“ aufmerksam zu machen und ihnen einige diesbezügliche Aphorismen von Georg Christoph Lichtenberg zu übermitteln. Wählen Sie passende Aphorismen aus, und schreiben Sie eine Empfehlung in der Länge von 405 bis 495 Wörtern. Stellen Sie die Situation dar, aus welchem Grund und für wen Sie die Empfehlung verfassen, analysieren Sie die Sprüche, die Sie empfehlen möchten, und begründen Sie Ihre Wahl. 12.6 Tipps für das Verfassen einer Empfehlung finden Sie in Sprachraum 9, S. 114. a b Sprachreflexion Sturm und Drang: Platz nicht nur für den Verstand DAS PROGRAMM: GEFÜHL, NATUR, POLITISCHE UND LITERARISCHE KRITIK Die Dominanz des Verstandes, wie ihn die Aufklärung forderte, entsprach nicht den Vorstellungen, die vor allem junge Menschen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom Leben hatten. Sie schätzten durchaus die Vernunft, verlangten aber auch Raum für die Gefühle und Emotionen: „Denken Sie weniger und leben Sie mehr!“ und „Das Herz schlägt früher, als der Kopf denkt!“ , so formuliert Johann Georg Hamann, einer der Wegbereiter des Sturm und Drang, die Anliegen der Jungen. Die Vorherrschaft von Verstand und Vernunft hätten den Menschen von der Natur und von den anderen Menschen entfernt, ein Gedanke, den die „Stürmer und Dränger“ von dem französischen Philosophen Jean- Jacques Rousseau übernehmen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse – die Menschen lebten in Staatsformen, in denen Monarchen oder weltliche und geistliche Fürsten regierten und diktierten – haben nach Ansicht des „Sturm und Drang“ Autonomie und Freiheit des Individuums zerstört. „Glaubs wohl, Hunger, Schmach, öffentliche Schande erwarten den, der’s wagt, frey von der Brust zu schreiben“ , formuliert der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart, und er musste am eigenen Leib erfahren, wie recht er mit diesen Worten hatte. Sein „Landesherr“, der Herzog von Württemberg, ließ ihn ohne Gerichtsurteil für zehn Jahre im Kerker einsperren. Zum Symbol für ein mutiges, selbstbestimmtes Individuum wurde für die Stürmer und Dränger die Figur des gegen die antiken Götter rebellierenden Prometheus. Die Kritik an der Entfremdung von der Natur und die Forderung nach Freiheit wurde ergänzt durch die Kritik an der bisherigen Dichtung: Keine „Regelpoetik“ sollte mehr die Dichter einschränken. „Wahre“ Literatur konnte nur aus leidenschaftlichen und echten Gefühlen entstehen, die Dichter sollten nur dem schöpferische „Genie“ in sich folgen. Dieses „Genie“ sah man vor allem in William Shakespeare, der zum großen Dichtervorbild wurde. Drei Beispiele: Johann Wolfgang von Goethe: Maifest (1771) und Zum Shakespeares-Tag (1771); Christian Friedrich Daniel Schubart: Die Fürstengruft (1779 oder 1780) Maifest Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur! Es dringen Blüten Aus jedem Zweig Und tausend Stimmen Aus dem Gesträuch Und Freud und Wonne Aus jeder Brust. O Erd’, o Sonne, O Glück, o Lust, O Lieb’, o Liebe! So golden schön, Wie Morgenwolken Auf jenen Höhn! Du segnest herrlich Das frische Feld, Im Blütendampfe Die volle Welt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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