Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 12 Denken und Schreiben von der Renaissance bis heute 154 Textkompetenz Literarische Bildung Sprachreflexion Die Aufklärung: „Bedient euch eures Verstandes!“ SEHR BELIEBT: DIE APHORISMEN Natürlich verwenden die Autoren der Aufklärung alle Gattungen, die sich zur Belehrung einsetzen lassen: Fabel, Roman, Komödien, die unaufgeklärtes Verhalten und alte Vorurteile entlarven. Das bürgerliche Trauerspiel will durch „Rührung“ des Publikums wirken und zur moralischen Besserung beitragen, indem es die Fähigkeit zum „Mitleiden“ aktiviert. Für die Verbreitung der Gedanken der Aufklärung spielen erste Zeitschriften, die „Moralischen Wochenschriften“, eine bedeutende Rolle. Besonders beliebt sind die Aphorismen, kurze Beobachtungen oder Gedanken, die Wertungen und Beurteilungen enthalten, die trotz ihrer Subjektivität Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben. Der „Aphorismenmeister“: Georg Christoph Lichtenberg Als ein „Kerl, der einen Verstand gehabt hat wie ein scharf geschliffenes Rasiermesser, ein Herz wie ein Blumengarten, ein Maulwerk wie ein Dreschflegel, einen Geist wie ein Florett“ , wurde Lichtenberg, der geschätzteste Aphorismen- autor der Aufklärung, bezeichnet. Hier einige seiner Aphorismen: 1. Wie glücklich viele Menschen wären, wenn sie sich genausowenig um Angelegenheiten anderer kümmern würden wie um die eigenen. 2. Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen. 3. Der gewöhnliche Kopf ist immer mit der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode konform. 4. Ein Buch ist ein Spiegel, aus dem kein Apostel herausgucken kann, wenn ein Affe hineinblickt. 5. Glaubt ihr denn, dass der liebe Gott katholisch ist? 6. Ist es nicht seltsam, dass die Menschen so gern für ihre Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben? 7. Du sollst deinen Nächsten seines Glaubens wegen nicht braten, zumal du ihn nicht essen kannst. 8. Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert, und mehr als das Blei in der Flinte jenes im Setzkasten der Drucker. 9. Der Mensch liebt die Gesellschaft, und sollte es auch nur die von einem brennenden Rauchkerzchen sein. 10. Er hatte seinen beiden Pantoffeln Namen gegeben. 11. Es gibt Leute, die so wenig Mut haben, etwas zu behaupten, dass sie sich nicht getrauen zu sagen, es wehe ein kalter Wind, so sehr sie ihn auch fühlen möchten, wenn sie nicht vorher gehört haben, dass es andre Leute gesagt haben. 12. In Hannover logierte ich einmal so, dass mein Fenster auf eine enge Straße ging […]. Es war sehr angenehm zu sehen, wie die Leute ihre Gesichte veränderten, wenn sie in die kleine Straße kamen, wo sie weniger gesehen zu sein glaubten, so wie einer hier pisste, der andere sich dort die Strümpfe band, so lachte der eine heimlich und schüttelte der andere den Kopf. Mädchen dachten mit einem Lächeln an die vorige Nacht und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf der nächsten großen Straße zurecht. 13. Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat. 14. Über nichts wird flüchtiger geurteilt als über die Charaktere der Menschen. […] Ich habe immer gefunden, die so genannten schlechten Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennenlernt, und die guten verlieren. 15. Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eines Monarchen Staat nicht untergeht, wie sich Spanien ehedem rühmte, sondern was sie während ihres Laufes in diesen Staaten zu sehen bekommt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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