Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

151 Literarische Bildung Textkompetenz Sprachreflexion Vier Texte über Lebenslust und Lebensangst Wollte man jemanden besonders würdigen, so schrieb man seinen Namen oder sein Personalpronomen mit großem Anfangsbuchstaben (Rest: großgeschriebene Anredepronomen in Briefen). Für besonders Würdige wurden sogar zwei oder mehrere Buchstaben großgeschrieben: HErr für Christus. Ende des 17. Jahrhunderts kristallisierte sich ein geregelter Sprachgebrauch heraus, der grammatische Tatsachen berücksichtigte: Eigennamen und Nomen, die den Namen „Hauptwörter“ erhalten, werden großgeschrieben. Die Zeichensetzung war lange dreiteilig: ein tiefer Punkt (Komma) zeigte eine kurze Pause an, ein mittlerer Punkt (Kolon) eine mittlere Pause, ein hoher Punkt das Satzende. Bis ins 16. Jahrhundert wurden mit Ausnahme des Punktes nur wenige Satzzeichen gesetzt. Sie dienten dazu, die Pausen beim Vorlesen anzuzeigen. Ab dem 17. Jahrhundert werden grammatische Gesichtspunkte respektiert, die aber erst im 20. Jahrhundert ganz zum Tragen kommen. Das Fragezeichen gibt es ab dem 14. Jahrhundert, Rufzeichen, Strichpunkt, runde Klammer, Anführungszeichen werden ab dem 17. Jahrhundert gesetzt. Der Doppelpunkt markiert bis ins 18. Jahrhundert größere Texteinschnitte, erst dann setzt sich seine heutige Verwendung durch. Barock: Lebenslust, Lebensangst und kunstvolle Texte 1618 bis 1648 verwüstet der Dreißigjährige Krieg Europa. Nicht nur Länder und Nationen, sondern auch die Religionen bekämpfen einander. Je mehr die Lebenszeit der Dichter mit der Zeit des Krieges zusammenfällt, desto stärker bestimmt der Krieg die Themen des Schreibens: Pessimismus ist zu spüren, der Gedanke der Vergänglichkeit alles Irdischen, insbesondere des menschlichen Lebens, – der „Vanitas-Gedanke“– dominiert. Andererseits gibt es die Sehnsucht nach Freude und das Genießen der Schönheiten der Welt. „Carpe diem“ –„Pflücke den Tag“ – wird zum Motto vieler Texte. Wie stark Kriegszeit und Dichtung der bedeutendsten Autoren zusammenfallen, zeigen deren Lebensdaten: Martin Opitz: 1597–1639; Paul Fleming: 1609–1640; Andreas Gryphius: 1616–1664; Christian Hofmann von Hofmannswaldau: 1617–1679. Barock Der Begriff Barock stammt aus der Kunstgeschichte. Er ist herzuleiten aus dem portugiesischen „pérola barroca“: unregelmäßige, schiefe Perle. Das Adjektiv „barock“ wird im 18. und 19. Jh. oft abwertend gebraucht, als Synonym für überladen, schwülstig, unharmonisch. Als Barockliteratur bezeichnet man die Dichtung vom Ende der Renaissance ab etwa 1600 bis zum Durchbruch der Ideen der Aufklärung in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Die Barockliteratur entsteht in einer Krisenzeit, die gekennzeichnet ist durch scharfe Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, den Dreißigjährigen Krieg und die Bildung von Staaten, die durch absolute Herrscher regiert werden. Gemeinsam ist den Dichterinnen und Dichtern der Hang zu krassen Gegensätzen: Weltfreude und Todesangst, prunkvolles Lob der Fürsten, von denen die Dichter abhängig sind, extreme Frömmigkeit und auch religiöser Extremismus, wie das Für oder Wider zu den Hexenprozessen der Zeit, sind prägende Inhalte. Ganz bewusst wird an der sprachlichen Form der Texte gearbeitet: Antithesen, Metaphern, Vergleiche, Übertreibungen (Hyperbeln) prägen den ausgefeilten, oft virtuosen Stil. Sehr beliebt sind „Figurengedichte“, bei denen die Gestalt des Gedichts dem Inhalt entspricht. Text 1: Christian Hofmann von Hofmannswaldau Vergänglichkeit der Schönheit Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen / Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand / die werden zeitlich weichen / […] Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden / Dann opffert keiner mehr der gottheit deiner pracht. Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen / Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen / Dieweil es die natur aus diamant gemacht. Text 2: Christian Hofmann von Hofmannswaldau Auff den mund MUnd! der die seelen kan durch lust zusammen hetzen Mund! der viel süsser ist als starcker himmelswein Mund! der du alikant 1 des lebens schenckest ein Mund! den ich vorziehn muß der Inden reichen schätze Mund! dessen balsam uns kan stärcken und verletzen Mund! der vergnügter blüht / als aller rosen schein. Mund! welchem kein rubin kan gleich und ähnlich seyn. Mund! den die Gratien mit ihren quellen netzen; Mund! Ach corallen-mund / mein eintziges ergetzen! Mund! laß mich einen kuß auff deinen purpur setzen. 1 Alikant: Süßer Wein 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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