Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

Sprachraum 10 Die Dramatik – und der offene Brief 132 Textkompetenz Literarische Bildung Schriftliche Kompetenz Kompetenztest 10 Hauptkompetenz und Teilkompetenz Literarische Bildung: Textsorten und ihre strukturellen Merkmale erkennen, Schriftliche Kompetenz: Texte adressatengerecht produzieren Weitere geforderte Kompetenzen Textkompetenz Methodisch-didaktische Hinweise alle Teile auch als Partnerarbeit möglich Hilfsmittel Keine Zeitbedarf KT 1: 15 Minuten; KT 2: 45 Minuten Jean Anouilh: „Antigone“ – Schlussszene Fassen Sie nach der Lektüre des folgenden Textes mündlich zusammen, welches Schicksal Antigone, ihr Verlobter Hämon, Kreons Sohn, und Kreons Frau Eurydike erleiden. Beschreiben Sie Kreons Reaktion darauf! Erklären Sie, ob sich Kreon charakterlich gewandelt hat oder ob er sich so verhält, wie es nach dem Gespräch mit Antigone (S. 123 ff.) zu erwarten war. KT 1 a b Der BOTE stürzt herein: Die Königin, wo ist die Königin? SPRECHER: Was willst du von ihr? Was hast du ihr zu sagen? BOTE: Eine furchtbare Nachricht. Man hat also Antigone in ihr Verlies geworfen. Man war schon im Begriff, die letzten Steine davorzurollen. Plötzlich hören Kreon und die anderen deutliche Klagelaute aus dem Grab. Alles ist still und lauscht – denn es ist nicht die Stimme Antigones. Es ist ein anderes Klagen, das aus der Tiefe herau lingt. Alles blickt Kreon betroffen an. Er, der immer alles vor den anderen weiß, errät als Erster. Er schreit plötzlich wie wahnsinnig: „Die Steine weg – schnell, die Steine weg!“ Die Sklaven stürzen sich auf die Blöcke. Er selbst hilft mit, schwitzend, mit blutigenHänden. Endlich tut sich eine kleine Hoffnung auf, und der Schlankste zwängt sich hindurch. Er findet Antigone an ihrem Gürtel erhängt. Die roten, grünen und blauen Schnüre sehen wie ein buntes Halsband aus. Hämon kniet vor ihr, die Arme um ihren Körper geschlungen, und stöhnt, das Gesicht in ihrem Kleid verborgen. Man entfernt einen weiteren Stein, und Kreon kann endlich selbst hinuntersteigen. Man sieht seine weißen Haare im Dunkel des Grabes. Er versucht Hämon aufzuheben, ehentlich bittet er ihn. – Hämon hört nichts. Da – plötzlich steht er auf – seine schwarzen Augen funkeln – er blickt seinen Vater schweigend an – lang – dann plötzlich spuckt er ihm ins Gesicht und zieht sein Schwert. Kreon springt zur Seite. Nochmals blickt ihn Hämon voll Verachtung mit seinen Kinderaugen an – Kreon kann seinen Augen nicht ausweichen. Lange betrachtet Hämon den alten zitternden Mann am anderen Ende des Grabes, und dann – ohne dass ein Laut über seine Lippen kommt – stößt er sich das Schwert in den Leib – taumelt – klammert sich im Stürzen an Antigone und umarmt sie – in einem riesigen purpurnen See. KREON der mit seinem PAGEN bei den letzten Worten des BOTEN eingetreten ist: Ich habe sie nebeneinanderlegen lassen. Sie sind jetzt gewaschen und sauber. Nur ein wenig bleich sind sie, aber ganz ruhig. Sie schlafen – wie zwei Liebende am Morgen ihrer ersten Nacht. Sie haben es hinter sich. SPRECHER: Aber du nicht, Kreon. Noch weißt du nicht alles. Eurydike, die Königin, deine Frau ... KREON ruhig: Eine gute Frau – die immer nur von ihrem Garten, von der Küche und von ihren Strickereien spricht – von ihrem ewigen Gestricke für die Armen. Komisch, dass alle Armen immer Gestricktes brauchen. SPRECHER: Diesen Winter werden die Armen in Theben frieren, Kreon. Als die Königin den Tod ihres Sohnes erfuhr, legte sie ihre Nadeln zur Seite, nachdem sie die Masche fertiggestrickt hatte. Sie war dabei bedächtig wie immer, vielleicht nur etwas ruhiger als sonst. Sie ging in ihr Zimmer, wo es immer nach Lavendel riecht und die kleinen gestrickten Deckchen auf den Plüschmöbeln liegen. Dort schnitt sie sich die Gurgel durch. Sie liegt jetzt in dem altmodischen Ehebett – wo du sie einmal als junges Mädchen sahst. Sie hat dasselbe Lächeln, nur etwas trauriger. Und wenn auf der weißen Wäsche bei ihrem Hals nicht der große, rote Fleck wäre, könnte man meinen, sie schlafe. KREON, ohne sich zu rühren, ruhig: Auch sie ... Jetzt schlafen alle. Gut. Es war ein harter Tag. Pause, dann leise: Schlafen – es muss schön sein. SPRECHER: Du bist jetzt allein, Kreon. KREON: Ja. Allein – ganz allein. Er nimmt seinen Pagen bei der Schulter: Kleiner ... Ich will dir etwas sagen. Sie wissen es ja nicht, die anderen. Wenn man vor einem Werk steht, kann man doch nicht einfach die Arme verschränken. Alle sagen zwar, es sei eine schmutzige Arbeit – aber wenn man sie nicht selbst tut, wer soll sie dann tun? […] Man hört aus der Ferne eine Uhr schlagen. KREON: Fünf Uhr. Was haben wir heute um fünf? 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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