Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

125 man eben umgebracht wird. Wie feig ist das! […] Trotzdem werde ich weiter an eurem Glück arbeiten, selbst wenn ihr es nicht wollt. Es ist schwer, und manchmal erscheint es euch gemein. Und wie oft stürzt alles wieder zusammen, dann heißt es von Neuem beginnen. Und kein Mensch hilft dabei. Doch ich werde euer Glück schaffen, ich werd es. […] ANTIGONE murmelt: Glück ... KREON etwas geniert: Ein armseliges Wort, nicht wahr? ANTIGONE: Was wird mein Glück sein? Was für eine glückliche Frau soll aus der kleinen Antigone werden? Welche Niedrigkeiten werde ich Tag für Tag begehen müssen, um dem Leben mit den Zähnen ein kleines Fetzchen Glück zu entreißen? Sag doch, wen werde ich belügen, wem falsch ins Gesicht lächeln und an wen mich verkaufen müssen? […] KREON: Du weißt nicht, was du sagst. Sei still! ANTIGONE: O doch, ich weiß es sehr gut – aber du verstehst mich nicht mehr. Ich bin zu weit weg von dir, meine Stimme spricht aus einer Welt, die dir mit deinen Sorgenfalten, mit deiner Weisheit und deinem dicken Bauch für immer verschlossen ist. […] KREON schüttelt sie: Bist du jetzt endlich still! ANTIGONE: Schlag mich doch, komm, schlag zu, Kreon. Du kannst ja nichts anderes. Schlag mich, denn du weißt, dass ich recht habe. Glaubst du, ich sehe es dir nicht an den Augen an, dass du es weißt? Nur zu gut weißt du, dass ich recht habe, aber zugeben wirst du es nie – denn jetzt verteidigst du dein Glück wie ein Hund seinen Knochen. KREON: Und das deine damit, du Dummkopf. ANTIGONE: Ihr seid mir alle widerlich mit eurem Glück und eurer Lebensauffassung. Gemein seid ihr! Wie Hunde, die geifernd ablecken, was sie auf ihrem Weg finden. Ein bescheidenes Alltagsglück und nur nicht zu anspruchsvoll sein! Ich, ich will alles, sofort und vollkommen – oder ich will nichts. Ich kann nicht bescheiden sein und mich mit einem kleinen Stückchen begnügen, das man mir gibt, weil ich so brav war. Ich will die Gewissheit haben, dass es so schön wird, wie meine Kindheit war – oder ich will lieber sterben. KREON: Sei still! Du solltest sehen, wie hässlich du bist, wenn du so schreist. ANTIGONE: Ja – ich bin hässlich. Du findest es gewöhnlich, mein Schreien, mein Auffahren, diesen lauten Streit, nicht wahr? […] Ich brauche euch alle nur anzusehen mit euren armseligen Köpfen – ihr Glückskandidaten! Ihr seid hässlich, selbst die Schönsten unter euch! Ihr habt alle etwas Gemeines in den Augen und um die Mundwinkel – und Köpfe wie die feisten Köche. KREON verdreht ihr den Arm: Ich befehle dir zu schweigen, verstehst du? […] Das Vorzimmer ist voller Leute – sie hören dich doch! ANTIGONE: Mach die Türen auf – die Türen auf – sie sollen mich hören! KREON versucht, ihr den Mund zuzuhalten: Willst du jetzt endlich still sein, um Himmels willen? ANTIGONE wehrt sich: Schnell, rufe deine Wächter. […] KREON schreit plötzlich: Wache! Führt sie ab! ANTIGONE schreit erleichtert auf: Endlich, Kreon! Die Wächter ergreifen sie und führen sie ab. […] KREON bleibt allein zurück. DER SPRECHER tritt auf und geht auf ihn zu: Du bist wahnsinnig, Kreon! Was hast du getan? KREON blickt starr vor sich hin: Sie musste sterben. Literarische Bildung Textkompetenz 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 Rede und Gegenrede im Drama erfassen und den Wendepunkt erkennen Wer von beiden hat offenbar das Gespräch herbeigeführt? In welcher Absicht geschah das? In welcher Situation befinden sich die Figuren gerade? Was ist das Thema ihres Gesprächs? Was ist das Ziel der Personen? Verändert sich ihr Ziel während des Gesprächs? Welche Gesprächsanteile haben die Personen jeweils? In welcher Art sprechen sie miteinander (Anrede, Tonfall, Emotion, Sachlichkeit …)? Beachten Sie dazu auch die kursiv gesetzten Regieanweisungen des Autors! Verändern sich diese Sprechformen im Laufe des Gesprächs? Wie agieren die Personen im Verlauf des Gesprächs: fragen, drohen, bitten, berichten, klagen, erklären, befehlen …? Hören sie einander zu? Verstehen die beiden Personen einander? Wenn nicht, aus welchen Gründen? Wo gehen sie von der Sachebene auf die Beziehungsebene? Erreichen die Personen am Ende des Gesprächs ihr Ziel? Welches Ergebnis hat das Gespräch? Hat sich das Verhältnis der Figuren, der gegenseitigen Einschätzung, ihrer Pläne und Vorhaben geändert? Fassen Sie kurz zusammen, mit welchen Argumenten beide Personen ihre Handlung begründen! Inwiefern kann man dieses Gespräch als deutliche Peripetie in die Katastrophe bewerten? 10.2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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