Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 10 Die Dramatik 124 Textkompetenz Literarische Bildung ANTIGONE: Doch. KREON: Wusstest du auch, welches Schicksal jeden erwartet, der es wagen sollte, ihn zu beerdigen? ANTIGONE: Ja, ich wusste es. […] KREON sieht sie an und murmelt: Der Hochmut des Ödipus! […] Aber diese Zeiten sind vorbei. Ich heiße nur Kreon, Gott sei Dank. Ich stehe fest mit beiden Füßen auf der Erde, die Hände in den Taschen. Und nachdem ich nun einmal König bin, habe ich mich entschlossen, […] die Weltordnung hier etwas vernünftiger zu gestalten – soweit das möglich ist. Für mich ist das kein Abenteuer, sondern ein Beruf wie jeder andere auch, der nicht immer leicht ist, aber den ich sehr ernst nehme. […] Er geht auf sie zu und nimmt sie am Arm . Nun höre mir gut zu. Du bist Antigone, die Tochter des Ödipus. Aber du bist erst zwanzig Jahre alt, und es ist noch gar nicht so lange her, da wäre die ganze Geschichte mit Hausarrest und ein paar Ohrfeigen abgetan worden. Er sieht sie lächelnd an . Dich töten lassen! Sieh dich doch erst einmal an, du Spatz. Mein Gott, wie bist du mager! Du musst etwas dicker werden, damit du Hämon einen kräftigen Jungen schenken kannst. […] Du gehst jetzt auf dein Zimmer, tust, was ich dir gesagt habe, und erzählst niemandem ein Wort. Ich sorge dafür, dass auch die anderen schweigen ... […] Weißt du nicht mehr, dass ich es war, der dir deine erste Puppe schenkte? Das ist noch gar nicht so lange her. ANTIGONE antwortet nicht. Sie will hinausgehen. Er hält sie zurück. KREON: Antigone! Diese Tür führt zu deinem Zimmer! Wohin willst du? ANTIGONE bleibt stehen und antwortet ruhig : Du weißt genau ... Sie stehen sich schweigend gegenüber. […] Ich muss jetzt meinen Bruder beerdigen, den diese Männer wieder aufgedeckt haben. KREON: Willst du wirklich diese unsinnige Tat wiederholen? Es steht jetzt eine neue Wache bei der Leiche. Selbst wenn es dir gelänge, sie noch einmal zuzuschütten, so würde man sie eben wieder freilegen, das weißt du doch. Du kannst dir höchstens dabei die Fingernägel blutig reißen und dich ergreifen lassen. ANTIGONE: Ich weiß. Aber ich muss tun, was ich kann. […] KREON betrachtet sie schweigend : Möchtest du denn so gerne sterben? ANTIGONE: Nein; aber ich weiß, dass ich nur so meine P icht erfüllen kann. KREON: Deine P icht! Du bist ja noch ein ganz kleines Mädchen, das schmächtigste von Theben. Bis jetzt verlangt man nur von dir, dass du schön bist und lachst. Wer hat sie dir denn auferlegt, diese P icht? ANTIGONE: Niemand, ich mir selbst. […] KREON sieht sie an, lässt sie dann los: Weiß Gott, ich hätte Wichtigeres zu tun heute! Aber ich werde trotzdem meine Zeit opfern, um dich zu retten, du kleiner Teufel. Er setzt sie auf einen Stuhl. Er zieht seine Jacke aus und geht mit schweren, bedächtigen Schritten in Hemdsärmeln auf und ab. […] Ich will nicht, dass du wegen einer politischen Geschichte ins Gras beißen musst. Dafür bist du mir zu schade. […] Glaubst du nicht, dass das Fleisch, das da draußen in der Sonne fault, mich genauso anekelt wie dich? Wenn abends der Wind von der Seeseite kommt, riecht man es sogar schon im Palast. Mir wird oft ganz übel. Wie wird das erst in acht Tagen sein, bei dieser Hitze! Es ist widerlich, und – dir kann ich es ja sagen –, und ich finde es auch dumm, wahnsinnig dumm sogar. Aber ganz Theben soll es in der nächsten Zeit riechen. Sonst hätte ich deinen Bruder längst beerdigen lassen – schon der Hygiene wegen. Aber diese Dickköpfe, die ich jetzt regieren soll, müssen zu einer besseren Einsicht gebracht werden. Und deswegen muss es in der ganzen Stadt einen Monat lang nach Polyneikes stinken! ANTIGONE: Du bist niederträchtig! […] KREON außer sich, schüttelt sie: Mein Gott, versuche doch endlich zu begreifen. Es muss doch einer da sein, der das Schiff steuert, […] verstehst du das? ANTIGONE schüttelt den Kopf: Ich will nicht verstehen! Das ist etwas für dich. Ich bin nicht da, um zu verstehen. Ich muss nein sagen und sterben. KREON: Nein sagen ist oft leicht. ANTIGONE: Nicht immer! KREON: Wer ja sagt, muss das Leben fest mit beiden Fäusten anpacken und sich in die Arbeit knien, dass der Schweiß rinnt. Nein sagen ist leicht. Man braucht nur ruhig dazusitzen und zu warten – auf das Leben oder bis Rede/Gegenrede und Peripetie – wichtigste Merkmale des Dramas Rede und Gegenrede : Dramenfiguren haben einen Charakter, eine dem Publikum zunächst meist unbekannte Vorgeschichte, Verpflichtungen, Pläne, Wertvorstellungen. Oft haben sie nur begrenzte Informationen darüber, was geschehen ist oder gerade geschieht und was andere vorhaben. Manchmal wissen sie weniger als das Publikum. Immer aber treffen sie, außer bei Monologen, in Rede und Gegenrede auf eine oder mehrere andere Personen, die sich in einer bestimmten Lage befinden und in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Wenn eine wichtige Figur ab- oder auftritt, beginnt eine neue Szene. Häufig sind die Figuren unterschiedlicher Auffassung. Die Peripetie : Besonders heftig prallen Rede und Gegenrede gerade der Hauptpersonen, der „Protagonisten“, oft in der Phase der Peripetie des Dramas aufeinander. Die Peripetie bringt den Höhe- und Wendepunkt der Handlung und führt in der Tragödie direkt in die Katastrophe. 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 N r zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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