Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 9 Die Lyrik – und die Empfehlung 106 Johann Wolfgang von Goethe: „Ein Gleiches“ DIE ENTSTEHUNG DES GEDICHTS UND SEIN SELTSAMER TITEL Das Jahr 1775 ist für die deutsche Literatur besonders bedeutsam: Herzog Carl August von Sachsen-Weimar lädt den 26-jährigen Goethe ein, am Weimarer Hof Aufenthalt zu nehmen. Goethes „Sturm und Drang“-Periode ist damit vorbei, in Weimar beginnt die Wandlung Goethes zum „Klassiker“. Im Februar 1776 entsteht das folgende Gedicht: Vier Jahre später schreibt Goethe am Kickelhahn, einem Berg in der Nähe der zum Herzogtum Weimar gehörenden Stadt Ilmenau, mit Bleistift an die Bretterwand einer Jagdhütte ein ähnliches Gedicht, dem er denselben Titel gibt. Die auf den ersten Blick seltsame Überschrift „Ein Gleiches“ beruht auf der von Goethe 1815 vorgenommenen Einordnung dieses Gedichts in seine Werkausgabe. Dort reihte er es im Anschluss an das Gedicht „Wandrers Nachtlied“ ein. „Ein Gleiches“ bedeutet also: ein Gedicht mit dem gleichen Thema, also ein weiteres „Wandrers Nachtlied“. Goethe ist inzwischen ein mit vielen Ressorts beauftragter Minister geworden, zuständig für Berg- und Wegebau, Theater und Vorsitzender der „Kriegskommission“. Manchmal werden ihm die Ämter und ganz Weimar zur Last. So schreibt er im Juli 1779 in sein Tagebuch über die Weimarer Gesellschaft: „Außer dem Herzog ist niemand im Werden, die anderen sind fertig wie Drechselpuppen, wo höchstens noch der Anstrich fehlt.“ Textkompetenz Literarische Bildung Textsorte: Empfehlung Die Lyrik – und die Empfehlung Gedichte in vielen Formen zu vielen Themen werden Ihnen in diesem Sprachraum ebenso vorgestellt wie Tipps zum Verfassen der Textsorte „Empfehlung“. ws5i27 SPRACHRAUM 9 Der „Lyrik-Erinnerungskasten“ Gedichte zeichnen sich aus durch ihre Form (Verse, Strophen), ihre „Dichte“ (Ausdruckskraft, „Komprimiertheit“) und ihre Subjektivität („lyrisches Ich“). Gezielte sprachliche und lautliche Mittel werden zur Verstärkung der Aussage verwendet: Reim, Rhythmus, sprachliche Bilder (Metaphern), Klang der Wörter, ungewöhnliche Anordnung von Wörtern und Sätzen. Die häufigsten Reimarten : Stabreim und vor allem Endreim; die häufigsten Formen des Endreims: Paarreim (aabb …), Kreuzreim (abab …), umschlungener Reim (abba …), Haufenreim, „unreine“ Reime (ungefährer Gleichklang) und nicht gereimte Waisen. Der Rhythmus besteht aus dem regelmäßigen Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben, den Hebungen und Senkungen. So entsteht ein bestimmtes Versmaß. Das Versmaß besteht aus Versfüßen. Die häufigsten Versfüße sind Jambus (xx wie in „Gebet“), Trochäus (xx wie in „Gipfel“), Anapäst (xxx wie in „Harmonie“), Daktylus (xxx wie in „Wanderung“). Wandrers Nachtlied Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest; Ein Gleiches Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust! Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. 2 4 2 4 6 8 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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