Sprachräume 2, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 8 Die Epik 100 Textkompetenz Literarische Bildung zimmer, in Rufweite […], wo sie ihre Andacht vorm aufgeklappten Altar abhielte, ihrem Kleiderschrank. Sie waren am Abend bei den Silbermanns zu einer Gartenparty eingeladen. Die Silbermanns waren nicht so wichtig, aber das Ehepaar Morawetz käme auch, und Gloria würde überlegen: Worin hat Anja mich noch nicht gesehen, und Anja würde auf dem Heim- weg mit Fred Morawetz über Glorias Aufmachung re- den.“ Der als „Altar“ bezeichnete Kleiderschrank lässt auf eine sehr „modebewusste“ Frau schließen, für die Kleidung ein wichtiger Teil ihrer Person ist, mit der sie andere Leute, wie die „Morawetz“ beeindrucken und neidisch machen will. Auffallend ist, dass der Mann überhaupt keinen Namen hat, die Frau nur mit dem Vornamen benannt wird. Vermutlich will die Autorin damit auf die Verallgemeinerbarkeit ihres Textes hin- weisen. Das Haus mit Veranda, Balkon und mehreren Zimmern, ein Grundstück mit einer Robinie – immer- hin ein Riesenbaum – die anscheinend riesige Kleider- auswahl und die Einladung zur „Gartenparty“ zeigen, dass beide Personen einem gehobenen Milieu angehö- ren, das vermutlich keine finanziellen Sorgen hat. Was die Situation des Paares vom Zeitungswitz unter- scheidet, sind die zwei Papageien. Sie krähen die Sätze, die ihnen die Frau beigebracht hat: „Tschautschatz“ (Ciao Schatz) und „Siiesein, siiesein“ (Sieh es ein). „Tschautschatz“ ist nicht besonders auffällig, „Siiesein, siiesein“ aber schon. Denn dieser „Satz“ könnte darauf hinweisen, dass die Frau schon lange etwas plante, was ihr Mann einsehen sollte, zum Beispiel, dass sie ihn verlassen möchte. Sicher dient die „Papageigeschichte“ auch der Verzögerung der Handlung und dem Span- nungsaufbau. Zu den Stilmitteln: Wohmann schreibt häufig in sehr kurzen Sätzen, denen manchmal sogar das Prädikat oder Subjekt fehlen. Längere Sätze bestehen meist aus Hauptsatzreihen. Zwei Stilbeispiele: „Aha, so ist das. Genial. Es steckt wirklich mehr dahinter, er hat was, der Witz.“ Wohmanns Sprache ähnelt der gesproche- nen Sprache des Alltags. Auch das könnte auf die Ver- allgemeinerbarkeit der Situation hinweisen. Poetische Stilmittel fehlen deshalb auch. Mir ist nur eine Meta- pher aufgefallen, die ich aber nicht für besonders ori- ginell, sondern für sehr konstruiert halte. Die Stimme des Papageis reißt den Mann aus der „Sauce der Be- nommenheit“. Auffallend ist auch, dass nur der Mann in direkter Rede spricht, von seiner Frau aber über- haupt keine Äußerung zu hören ist. Diese Feststellung führt mich zum Schluss: Wohmann zeigt in dem Text die Kommunikationslosigkeit und das Nebeneinanderherleben eines Paares. Wie es für eine Kurzgeschichte typisch ist, wird der Grund für diese misslungene Kommunikation nicht erklärt. Ge- nauso offen bleibt die weitere Entwicklung der Bezie- hung. Dass Kommunikationsprobleme zwischen Part- nern keine Seltenheit sind und Wohmann eine verall- gemeinerbare Darstellung von Beziehungsproblemen, wenn auch auf „witzige“ Art bringt, das kann man oft selbst sehen. 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 Kernaussagen von Texten sammeln, strukturieren und bewerten Womit leitet die Schülerin ihre Deutung ein? Was bringt sie als Schlussteil? Beantwortet sie Ihrer Ansicht nach die gestellten Fragen zum Text? Geben Sie der Arbeit eine „Schulnote“ von 1 bis 5; begründen Sie Ihre Bewertung. 8.3 Epische Texte beschreiben Die Schülerin, deren Interpretation von Gabriele Wohmanns Kurzgeschichte „Glorias Witz“ Sie vorgefunden haben, hat sich ziemlich genau an die Ihnen aus Band 1 der „Sprachräume“ bekannten „Schritte zur Beschreibung epischer Texte“ gehalten. Hier in erweiterter Form nochmals Tipps dazu. Schritt 1: „Genaues Lesen“ Den Text genau lesen, zur genauen Erfassung eine der Lesetechniken (zum Beispiel Schlüsselwortübung) anwenden! Welche „Vor-Information“ liefert der Titel? Schritt 2: „Über den Text in Erfahrung bringen“ Informationen über Leben/Werk der Autorin/des Autors einholen. Welcher epischen Textsorte ist der Text zuzuordnen? Löst der Titel in Ihnen bestimmte Vorstellungen, Ideen aus? Mögliche Ergänzung: die Entstehungszeit des Textes, Charakteristik dieser Zeit. Schritt 3: „Aus dem Text herauslesen“ Die im Werk dargestellte Welt beschreiben: Raum, Zeit, Figuren und ihre Beziehungen. Aus welcher Perspektive wird erzählt? Wie verhalten sich Erzählzeit und erzählte Zeit? Wo und wann spielt die Geschichte? Welche Figuren kommen vor? Wie sind sie charakterisiert? Welche Gedanken, Gefühle und Absichten haben sie? Wie handeln sie, und warum handeln sie so? Verändert sich die Hauptfigur durch das Geschehen? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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