Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

85 Sprachreflexion Textkompetenz Wenn von Ihnen, z. B. in einer Schularbeit, verlangt wird, einen literarischen Text stilistisch zu beschreiben , sollten Sie eingehen auf: ƒƒ die Wortwahl , z. B.: alltagssprachliche, gehobene oder veraltende Wörter?, Wortneubildungen?, häufige Wortzusammensetzungen?, anschauliche, präzise Bezeichnungen? fachsprachliche Wörter? ƒƒ den Satzbau , z. B.: kurze Sätze und Satzreihen?, komplexe Sätze bzw. verschachtelte Satzgefüge?, häufige Aufforderungs- oder Fragesätze? ungewöhnliche Satzstellungen oder Fügungen? ƒƒ stilistische bzw. rhetorische Figuren im engeren Sinne , z. B.: Ellipsen?, Übertreibungen?, rhetorische Fragen? Häufig fügen sich diese Merkmale zu einheitlichen Stilbeschreibungen. Man unterscheidet unter anderem zwischen: ƒƒ historischem Stil , d. h. es werden heute veraltete Wörter und Ausdrücke gebraucht, die Grammatik und/oder die Satzstellung weicht vom heutigen Sprachgebrauch ab. Häufiges Kennzeichen dieses Stils ist das Dativ -e, das heute nur noch in festen Wendungen gebraucht wird (z. B. im Falle eines Falles, im Laufe des Tages usw.) ƒƒ parataktischem (= beiordnend: häufige Verwendung von Satzreihen) und hypotaktischem (= unterordnend: häufige Verwendung von komplexen Satzgefügen) Stil ƒƒ metaphorischem Stil , d. h. es wird eine attributreiche und bildhafte bzw. anschauliche Sprache verwendet (Gegensatz: sachlicher Stil, d. h. die Sprache ist nicht beschreibend). Texte stilistisch beschreiben Lesen Sie die beiden Textauszüge und charakterisieren Sie sie mithilfe der Fachbegriffe im Merktext stilistisch. 7.32 Adalbert Sti er: Der Hagestolz (Auszug) Victor ging an dem Gebüschrande gegen die Wohnung zu. Als er auf den freien Sandplatz vor dem Hause ge- kommen war, auf dem der Brunnen stand und ein be- jahrter Apfelbaum war, an den sich wieder Stangen und allerlei andere Dinge lehnten, wurde er von einem alten Spitz angewedelt und begrüßt. Die Hühner, eben- falls freundliche Umwohner des Hauses, scharrten un- ter dem Apfelbaume unbeirrt fort. Er ging in das Haus hinein, und über den knisternden Flursand in die Stu- be, aus welcher ein reiner gebohnerter 1 Fußboden her- aussah. In der Stube war bloß eine alte Frau, die gerade ein Fenster geö—net hatte, und damit beschä€igt war, von den weißgescheuerten Tischen, Stühlen und Schreinen den Staub abzuwischen, und die Dinge, die sich etwa gestern abends verschoben hatten, wieder zurecht zu stellen. Durch das Geräusch des Hereintretenden von ihrer Arbeit abgelenkt, wendete sie ihr Antlitz gegen ihn. Es war eines jener schönen alten Frauenantlitze, die so selten sind. Ruhige, san€e Farben waren auf ihm und jedes der unzähligen kleinen Fältchen war eine Güte und eine Freundlichkeit. Um alle diese Fältchen waren hier noch die unendlich vielen anderen einer schneeweißen gekrausten Haube. Auf jeder der Wan- gen saß ein kleines, feines Fleckchen Rot. 1 bohnern: polieren, wachsen Peter Bichsel: Ein Tisch ist ein Tisch (Auszug) Ich will von einem alten Mann erzählen, von einem Mann, der kein Wort mehr sagt, ein müdes Gesicht hat, zu müd zum Lächeln und zu müd, um böse zu sein. Er wohnt in einer kleinen Stadt, am Ende der Straße oder nahe der Kreuzung. Es lohnt sich fast nicht, ihn zu beschreiben, kaum etwas unterscheidet ihn von andern. Er trägt einen grauen Hut, graue Ho- sen, einen grauen Rock und im Winter den langen grauen Mantel, und er hat einen dünnen Hals, dessen Haut trocken und runzelig ist, die weißen Hemdkra- gen sind ihm viel zu weit. Im obersten Stock des Hauses hat er sein Zimmer, viel- leicht war er verheiratet und hatte Kinder, vielleicht wohnte er früher in einer anderen Stadt. Bestimmt war er einmal ein Kind, aber das war zu einer Zeit, wo die Kinder wie Erwachsene angezogen waren. Man sieht sie so im Fotoalbum der Großmutter. In seinem Zim- mer sind zwei Stühle, ein Tisch, ein Teppich, ein Bett und ein Schrank. Auf einem kleinen Tisch steht ein Wecker, daneben liegen alte Zeitungen und das Foto- album, an der Wand hängen ein Spiegel und ein Bild. Der alte Mann machte morgens einen Spaziergang und nachmittags einen Spaziergang, sprach ein paar Worte mit seinemNachbarn, und abends saß er an sei- nem Tisch. Das änderte sich nie, auch sonntags war das so. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 Nur zu Prüfzwecken – Eigent m des Verlags öbv

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