Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

45 Klären Sie, bis zu welchem Erzählschritt der Beginn der Zusammenfassung reicht. Setzen Sie die Zusammenfassung bis zum 6. Erzählschritt fort. Besprechen Sie mit Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, wie Ihnen die Geschichte gefallen hat (und warum) und welcher Zusammenhang sie mit Ihren eigenen Erfahrungen in der Erziehung durch Ihre Eltern oder Lehrerinnen bzw. Lehrer hat. Formulieren Sie dann in zwei, drei Sätzen einen Schlussteil, in dem Sie begründet zu der Geschichte Stellung nehmen. Redigieren Sie abschließend die vollständige Zusammenfassung. c d e f Textkompetenz Schriftliche Kompetenz Max Frisch: Geschichte von Isidor Ich werde ihr die kleine Geschichte von Isidor erzäh- len. Eine wahre Geschichte! Isidor war Apotheker, ein gewissenhaŠer Mensch also, der dabei nicht übel ver- diente, Vater von etlichen Kindern und Mann im bes- ten Mannesalter, und es braucht nicht betont zu wer- den, dass Isidor ein getreuer Ehemann war. Trotzdem vertrug er es nicht, immer befragt zu werden, wo er gewesen wäre. Darüber konnte er rasend werden, in- nerlich rasend, äußerlich ließ er sich nichts anmerken. Es lohnte keinen Streit, denn im Grunde, wie gesagt, war es eine glückliche Ehe. Eines schönen Sommers unternahmen sie, wie es damals gerade Mode war, eine Reise nach Mallorca, und abgesehen von ihrer steten Fragerei, die ihn im Stillen ärgerte, ging alles in bester Ordnung. Isidor konnte ausgesprochen zärtlich sein, sobald er Ferien hatte. Das schöne Avignon entzückte sie beide; sie gingen Arm in Arm. Isidor und seine Frau, die man sich als eine sehr liebenswerte Frau vor- zustellen hat, waren genau neun Jahre verheiratet, als sie in Marseille ankamen. Das Mittelmeer leuchtete wie auf einem Plakat. Zum stillen Ärger seiner Gattin, die bereits auf dem Mallorca-Dampfer stand, hatte Isi- dor noch im letzten Moment irgendeine Zeitung kau- fen müssen. Ein wenig, mag sein, tat er es aus purem Trotz gegen ihre Fragerei, wohin er denn ginge. Weiß Gott, er hatte es nicht gewusst; er war einfach, da ihr Dampfer noch nicht fuhr, nach Männerart ein wenig geschlendert. Aus purem Trotz, wie gesagt, vertieŠe er sich in eine französische Zeitung, und während seine Gattin tatsächlich nach dem malerischen Mallorca reiste, fand sich Isidor, als er endlich von einem dröh- nenden Tuten erschreckt aus seiner Zeitung aušlickte, nicht an der Seite seiner Gattin, sondern auf einem ziemlich dreckigen Frachter, der, übervoll beladen mit lauter Männern in gelber Uniform, ebenfalls unter Dampf stand. Und eben wurden die großen Taue ge- löst. Isidor sah nur noch, wie die Mole sich entfernte. Ob es die hundsföttische Hitze oder der Kinnhaken ei- nes französischen Sergeanten gewesen, was ihm kurz darauf das Bewusstsein nahm, kann ich nicht sagen; hingegen wage ich mit Bestimmtheit zu behaupten, dass Isidor, der Apotheker, in der Fremdenlegion 1 ) ein härteres Leben hatte als zuvor. An Flucht war nicht zu denken. Das gelbe Fort, wo Isidor zum Mann erzogen wurde, stand einsam in der Wüste, deren Sonnenun- tergänge er schätzen lernte. Gewiss dachte er zuweilen an seine Gattin, wenn er nicht einfach zu müde war, und hätte ihr wohl auch geschrieben; doch Schreiben war nicht gestattet. Frankreich kämpŠe noch immer gegen den Verlust seiner Kolonien, so dass Isidor bald genug in der Welt herumkam, wie er sich nie hätte träumen lassen. Er vergaß seine Apotheke, versteht sich, wie andere ihre kriminelle Vergangenheit. Mit der Zeit verlor Isidor sogar das Heimweh nach dem Land, das seine Heimat zu sein den schriŠlichen Anspruch stellte, und es war – viele Jahre später – eine pure Anständigkeit von Isidor, als er eines schönen Morgens durch das Gartentor trat, bärtig, hager wie er nun war, den Tropenhelm unter dem Arm, damit die Nachbarn seines Eigenheims, die den Apotheker längstens zu den Toten rechneten, nicht in Aufregung gerieten über seine immerhin ungewohnte Tracht; selbstverständlich trug er auch einen Gürtel mit Re- volver. Es war ein Sonntagmorgen, Geburtstag seiner Gattin, die er, wie schon erwähnt, liebte, auch wenn er in all den Jahren nie eine Karte geschrieben hatte. Ei- nen Atemzug lang, das unveränderte Eigenheim vor Augen, die Hand noch an dem Gartentor, das unge- schmiert war und girrte wie je, zögerte er. Fünf Kinder, alle nicht ohne Ähnlichkeit mit ihm, aber alle um sie- ben Jahre gewachsen, so dass ihre Erscheinung ihn be- fremdete, schrieen schon von weitem: Der Papi! Es gab kein Zurück. Und Isidor schritt weiter als Mann, der er in harten Kämpfen geworden war, und in der Ho—- nung, dass seine liebe Gattin, sofern sie zu Hause war, ihn nicht zur Rede stellen würde. Er schlenderte den Rasen hinauf, als käme er wie gewöhnlich aus seiner Apotheke, nicht aber aus Afrika und Indochina. Die Gattin saß sprachlos unter einem neuen Sonnen- schirm. Auch den köstlichen Morgenrock, den sie trug, hatte Isidor noch nie gesehen. Ein Dienstmäd- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 Verfassen Sie eine schriftliche Zusammenfassung zur „Geschichte von Isidor“ von Max Frisch (270 bis 330 Wörter). - Benennen Sie die Hauptfigur, um die es in diesem Abschnitt geht. - Geben Sie die wichtigsten Handlungsschritte in verkürzter Form wieder. - Erläutern Sie, welche Folgerung die Tatsache zulässt, dass der Erzähler die Reaktionen Isidors nicht erklärt. 4.7 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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