Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

ZWISCHENRAUM 1 Maturatextsorten 38 Maturatextsorten In diesem Abschnitt ƒ machen Sie sich mit den maturarelevanten Textsorten Leserbrief, Zusammenfassung und Erörterung vertraut. g22u7i ZWISCHENRAUM 1 Lesen Sie das Interview und fassen Sie mündlich alle Antworten von Frau Cheria und Frau Burckhardt abschnittsweise zusammen. Achten Sie dabei darauf, trotz der im Interview benannten Menschenrechts- verletzungen nicht zu werten, sondern nur Inhalte wiederzugeben. Interview: Maria Exner „Knochenarbeit – zehn, o zwölf Stunden am Tag“ In indischen Spinnereien werden Tausende Mäd- chen wie Sklaven behandelt. Deutsche Textil r- men beziehen von dort ihre Stoe. Aktivistinnen schlagen im Interview Alarm. ZEIT ONLINE: Frau Cheria, Frau Burckhardt, Sie beklagen, dass in der indischen Textilbranche immer mehr Mädchen Opfer des sogenannten Sumangali- Systems werden. Was genau bedeutet das? Anita Cheria: Sumangali bedeutet „glückliche Braut“. Obwohl sie in Indien mittlerweile verboten ist, exis- tiert vor allem auf dem Land noch immer die Tradi- tion der Mitgiˆ. Im Bundesstaat Tamil Nadu, in dem sich der Großteil der indischen Textilfabriken und Baumwollspinnereien be‹ndet, sprechen die Anwer- ber der Fabriken gezielt arme Familien an, die sich keine Mitgiˆ leisten können. Sie versprechen, dass ihre minderjährigen Töchter in drei bis fünf Jahren Arbeit in einer Spinnerei etwa 500 bis 800 Euro ver- dienen können. Es wird suggeriert, dass sich die Fir- ma umdie Kinder kümmert: Die Mädchen bekämen eine Ausbildung, eine ordentliche Unterkunˆ und das Lohnpaket am Ende, versprechen sie. Für die El- tern, die häu‹g weder lesen noch schreiben können, ist das ein attraktives Angebot. Nur sieht die Realität völlig anders aus. ZEIT ONLINE: Was erwartet die Mädchen in den Spinnereien? Cheria: Harte Knochenarbeit – zehn, oˆ zwölf Stun- den amTag. DieMädchen sind auf demFabrikgelän- de eingesperrt und können sich nicht frei bewegen. Die Wohnräume sind sehr schlecht ausgestattet, nicht mehr als ein paar Decken auf dem Boden. Die Mädchen müssen oˆ stundenlang anstehen, um sich zu waschen. Dazu ist das Essen schlecht. Kürzlich schlug eine Initiative in Tamil Nadu Standards für Sumangali-Mädchen vor: Auf zehn mal zehn Fuß sollten nicht mehr als zwölf Menschen leben und sich eine Toilette, ein Waschbecken, einen Eimer und ei- nen Becher teilen. Das ist ein Vorschlag für eine Ver- besserung! Gisela Burckhardt: Ich hatte bei meinem letzten In- dienbesuch die seltene Gelegenheit, eine Spinnerei zu besuchen. In großen Hallen laufen die Spinnmaschi- nen in langen Reihen, 24 Stunden am Tag. Ein Mäd- chen muss alle Spindeln einer Reihe kontrollieren. Dort wo ein rotes Lämpchen blinkt, ist der Faden gerissen und es muss sofort hinrennen und ihn wie- der einfädeln. Diese Arbeit ist körperlich extrem an- strengend. Es gibt drei Schichten von je acht Stunden. Aber wir wissen, dass die Mädchen eineinhalb Schichten arbeiten müssen, beispielsweise von 8 bis 16 Uhr und von 21 bis 2 Uhr in der Nacht. Viele Mädchen werden krank vom Baumwollstaub, der Hitze, der Rennerei und der schlechten Ernährung. Aber wer nicht die gesamten drei bis vier Jahre ableis- tet, bekommt nicht mal einen Teil der versprochenen Lohnsumme. Die Ausbeutung ist wirklich extrem. ZEIT ONLINE: Die Lohnkosten in Indien sind welt- weit mit die geringsten.Wieso greiˆ die Textilbranche trotzdem auf diese Form der Kinderarbeit zurück? Cheria: Die Textilindustrie entscheidet anhand der Lohnkosten darüber, wo in Indien produziert wird. Als Kerala, historisch ein Zentrum der indischen Textilbranche, nach der Unabhängigkeit kommunis- tisch regiert wurde und Mindestlöhne einführte, zog die Industrie in andere, ärmere Bundesstaaten. Erst in die Städte, dann – in den vergangenen zehn Jahren – vermehrt in ländliche Regionen, weil dort die Ge- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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