Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 13 Die Antike 156 Mündliche Kompetenz hätte die Nymphen können ertappen, die o™mals mit ihrem Gatten Jupiter lagen am Berg, die Göttin mit Absicht schwatzend zurückhielt, bis die Nymphen geƒohn. Als Juno es endlich bemerkte, sprach sie: „Deiner Zunge, durch die ich gefoppt, sollst du wenig nur mächtig bleiben, behalten nur zu kürzester Nutzung die Sprache.“ Und sie tat, wie gedroht. Nun verdoppelt Echo der Reden Ende und trägt nur die Worte zurück, die sie vorher gehört hat. Da also diese Narcissus gesehn durch die einsamen Felder streifen, und da sie in Liebe entbrannt, folgt heimlich sie seinen Spuren, und seine Nähe lässt, je mehr sie ihm folgt, sie erglühen. […] Einmal rief Narcissus, getrennt von der Schar der Begleiter: „Ist jemand zur Stelle?“ – „Zur Stelle“ erwiderte Echo. Und er staunt und schickt nach allen Seiten die Blicke, ru™ laut: „So komme doch!“ – „So komme doch“, ru™ sie. Da wieder niemand kommt, ru™ er: „Was ƒiehst du mich denn?“ und emp…ng der Worte soviele zurück, als er selber eben gerufen. „Nochmals ru™ er, getäuscht von der Wechselstimme: „So lasst uns immer uns vereinen!“– und Echo, nie lieber bereit, einem Klange Antwort zu geben als dem, sie ru™ zurück: „Uns vereinen!“, und ihren Worten gemäß, tritt sie heraus aus dem Walde, eilt, um den Hals, den ersehnten, die Arme zu schlingen. Doch jener sieht und ru™ im Fliehn: „Nimm weg von mir deine Hände! Eher möchte ich sterben, als dass ich würde dein Eigen!“ […] Da verbirgt die Verschmähte im Walde sich, sie deckt sich mit Blättern schamvoll das Antlitz und lebt von nun an in einsamen Grotten. Aber die Liebe, sie ha™et und wächst mit dem Schmerz des Verschmähtseins. Nimmer ruhender Kummer verzehrt den kläglichen Leib, und dörrend schrump™ ihre Haut, die Sä™e des Körpers entweichen all in die Lü™e. Nur Stimme und Knochen sind übrig. Die Stimme blieb. Die Knochen sind, so erzählt man, zu Steinen geworden. Seitdem hält sie im Wald sich versteckt, wird gesehen an keinem Berg, doch von allen gehört. Was in ihr noch lebt, ist der Klang nur. 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Textinhalte erfassen und vergleichen Geben Sie den Texten einen passenden Titel! Welcher Text schildert eine glückliche Beziehung, welcher eine unglückliche, in welchem Text erscheinen beide „Beziehungsformen”? Welche Erfahrung löst die seelische Erschütterung des „Ich“ bei Sappho aus, in welchen körperlichen Symptomen zeigt sich dieses Aufgewühltsein? Welches Ereignis steht am Beginn des schwierigen Lebens von Echo? Fassen Sie mündlich das weitere Schicksal Echos zusammen. Welches Gedicht lässt das Thema von der Vergänglichkeit der Liebe und des Lebens anklingen? Welche Metaphern werden für das Leben bzw. für die Vergänglichkeit verwendet? Besprechen Sie mit Ihrer Deutschlehrerin/Ihrem Deutschlehrer, weshalb das Liebespaar bei Catull die Anzahl der Küsse verbergen will. Ordnen Sie Ovids Text einer der Mythenformen zu – siehe Einleitung zu diesem Sprachraum. Informieren Sie sich über das weitere Schicksal des Narcissus und über folgende Verwandlungen, und berichten Sie darüber: die der Io in eine Kuh, der Daphne in den Lorbeer, der Callisto in eine Bärin, der Arachne in eine Spinne, des Actaeon in einen Hirsch, von Philemon und Baucis in eine Linde und eine Eiche. Was bedeutet der Begriff „Narzissmus” im alltäglichen Sprachgebrauch? 13.12 a b c d e f Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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