Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

129 HANDLUNG, REDE UND DIE ENTSCHEIDENDEN PHASEN EINES DRAMAS Dramen präsentieren im Allgemeinen sprechende und handelnde Figuren auf einer Bühne. Allerdings stimmt der Begriff „handelnde“ Figuren nicht immer. Im modernen Drama stehen nicht selten Figuren auf der Bühne, die nicht selbst handeln, sondern nur noch etwas mit sich geschehen lassen. Das Drama des Naturalismus (1885 –1900) war das erste, das den passiven Helden auf die Bühne brachte, um zu zeigen, wie gering die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen auf sein Schicksal sind. Der Beginn – die Exposition Viele Autoren/Autorinnen bezeichnen die Exposition eines Dramas als schwierigsten Akt des Schreibens. Autor/Autorin müssen wie ein guter Journalist das Publikum schon zu Beginn zu den sieben „W“ hinführen: „Wer?“ (Charaktere, persönliche Eigenarten, Funktion der Figuren), „Was?“ (Worum geht es? Z. B. ein Verbrechen), „Wo?“ (In der Stadt, in einer Wohnung, in der Natur …), „Wann?“ (Gegenwart, Vergangenheit, Jahreszeit, am Morgen …), „Warum?“ (Weshalb agieren und reagieren die Personen gerade so?), „Wozu?“ (Was sind die Absichten der Personen?) und „Wie?“ (Wie versuchen sie ihre Absichten durchzusetzen?). Gleichzeitig darf nicht zu viel „verraten“ werden, um dem Publikum nicht die „Spannung“ und Erwartung zu nehmen. Überdies müssen dem Publikum oft Hinweise gegeben werden, was geschehen ist, bevor das Drama auf der Bühne beginnt. Die Autoren/Autorinnen haben bestimmte Mittel, um notwendige Andeutungen zur Vorgeschichte zu machen: Sie können etwa Szenenanweisungen geben, die das Publikum auf die Spur der Vorgeschichte bringen, oder können die Personen selbst darüber sprechen lassen. In der Folge finden Sie Mitterers Anweisung zur Bühnengestaltung der ersten Szene von „HEIM“: Dämmerung. Oben auf der Autobahn kommt sehr schnell das Geräusch eines alten Motorrades näher. […] Nach einer Weile steigt Mike am Ende der Brücke auf die Leiter, schaut auf den Platz unter der Brücke. […] Mike steigt ganz herunter, geht in die Mitte, schaut sich um. Er kennt den Platz von früher. Er schaut zu seinen Füßen hinunter, tritt einen Schritt zurück, kniet sich hin, legt den Plastiksack ab, gräbt mit der Hand im Boden […], holt eine schimmernde, große Glasmurmel hervor […]. Oben am Brückenende hat sich Nina auf den Bauch gelegt, schaut nun herunter, hält eine Whisky-Flasche in der Hand. […] Kleidung und Haartracht Ninas sind etwas ungewöhnlich, sie schaut schwanger aus, ist heroinsüchtig, leidet unter Entzugserscheinungen, will ihre Schmerzen aber vor Mike verbergen. Nina trinkt einen großen Schluck, schließt die Flasche, stellt sie neben ihm hin, holt aus ihrer Kleidung ein neues, zusammengefaltetes Nachthemd mit Preisschild heraus (daher sah sie schwanger aus), faltet es auseinander, schaut es lächelnd an, hält es an sich. Der Höhepunkt – die Peripetie In „HEIM“ hat Ossi, ein Supermarktleiter, Nina beim Diebstahl von Nachthemd und Whisky beobachtet und die Gendarmerie verständigt. Mit dem Gendarmen Günther und dem Postenkommandanten Hermann, Mikes Vater, der leicht betrunken ist, verfolgt er im Auto Mike und Nina. Er entdeckt sie unter der Autobahnbrücke. Schließlich kommt auch Hilde, Mikes Mutter, dazu. Im Folgenden werden einzelne Dialogabschnitte aus dieser Situation wiedergegeben. Die den Ausschnitten in Klammer vorangestellten Informationen sind nicht Teil des Dramas, sie dienen zu Ihrer Orientierung. Ein Tipp: Lesen Sie die Szenen laut mit verteilten Rollen. So können Sie verdeutlichen, wie die Personen das Geschehen einschätzen. Die drei entscheidenden Phasen eines Dramas nach Aristoteles: 1. Anfang (Exposition), 2. Höhe- und Wendepunkt des Geschehens (Peripetie) 3. Schluss: je nach Dramenart Katastrophe oder Lösung Bis in unsere Zeit folgen viele Autoren/Autorinnen diesem Bauprinzip. Meist sind die Dramen in fünf Akte gegliedert, auch „Aufzüge“ genannt: Die Schauspieler „ziehen“ auf die Bühne hinauf. Meist spielt sich der Höhepunkt im dritten Akt eines Dramas ab. Die Akte sind meist in einzelne Szenen („Auftritte“) geteilt. Rede und Handlung der Personen werden oft durch detaillierte Angaben von Autor/Autorin („Regieanweisungen“) ergänzt. 2 4 6 8 10 Fassen Sie Mitterers Regieanweisung zusammen! Welche Requisiten (Gegenstände) spielen auf die Vorgeschichte an? Welche Informationen zur Person Ninas und Mikes geben die Szenenanweisungen des Autors? 11.6 Textkompetenz Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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