Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

121 Reime regen an … Moderne Lyriker stehen dem Reim vielfach skeptisch gegenüber, weil sie ihn für verbraucht und missbraucht halten: für Politik, Werbung, falsche Romantisierung. Deshalb ist der reimlose Vers geradezu ein Kennzeichen der modernen Lyrik. Enzensberger jedoch hält besonders den Reim für eine ausgezeichnete „Ideen-Maschine“. Reime regen zum Dichten an, wie die folgenden Gedichte zeigen. Vorschläge, wie diese Gedichte „genützt“ werden könnten, bringen Ihnen die angeschlossenen Arbeitsanregungen. Text 1 Hans Magnus Enzensberger (*1929) Stellt euch vor, ihr geht, wie jeden Abend, irgendwann ins Bett, und vor dem Einschlafen fragt ihr euch, was sich darauf wohl alles reimt. Unglaublich, was dabei alles zum Vorschein kommt. Der reinste Surrealismus: Ein Duett im Falsett; ein Bukett im Korsett; ein Barett – violett; ein Rakett im Tennis-Set – führt man nicht wie ein Florett; für den Jet-Set ein Bankett; im Ballett – ein Menuett; das Wasserbett ist ganz adrett; das Kotelett – nicht allzu fett; ein Brikett liegt auf dem Brett; das Quintett – spielt sehr nett; ein Etikett auf dem Jackett; ein Skelett im Lazarett; ein Stilett im Kabinett; ein Sowjet mit Bajonett; im Klosett ein Amulett; kein Roulette im Minarett; ein Spinett auf dem Parkett; ein Omelett auf dem Tablett; die Liste ohne Internet ist noch lange nicht – komplett! Text 2 Christian Morgenstern (1871–1914): Das Nasobēm Auf seinen Nasen schreitet einher das Nasobēm, von seinem Kind begleitet. Es steht noch nicht im Brehm Es steht noch nicht im Meyer. Und auch im Brockhaus nicht. Es trat aus meiner Leyer zum ersten Mal ans Licht. Auf seinen Nasen schreitet (wie schon gesagt) seitdem, von seinem Kind begleitet, einher das Nasobēm. Text 3 Christian Morgenstern Das Huhn In der Bahnhoœalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her ... Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh‘r? Wird dem Huhn man nichts tun? HoŸen wir es! Sagen wir es laut: Dass ihm unsre Sympathie gehört, selbst an dieser Stätte, wo es – „stört“! Text 4 Christian Morgenstern Das ästhetische Wiesel Ein Wiesel saß auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel. Wisst ihr weshalb? Das Mondkalb verriet es mir im Stillen: Das ra¤nier- te Tier tat’s um des Reimes willen. Text 5 Ernst Jandl (1925–2000) ottos mops trotzt otto: fort mops fort ottos mops hopst fort otto: soso otto holt koks otto holt obst otto horcht otto: mops mops otto ho¦ ottos mops klop§ otto: komm mops komm ottos mops kommt ottos mops kotzt otto: ogottogott Christian Morgenstern ƒe aesthetic weasel A weasel pearched on an easel within a patch teasel. But why and how? ¨e Moon Cow whispered her reply one time: ¨e sopheest- icated beest did it just for the rhyme. 2 4 6 8 2 4 6 8 10 12 2 4 6 8 2 4 6 8 10 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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