Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

ZWISCHENRAUM 4 Lyrik kreativ 120 Lyrik kreativ Gedichte selber schreiben? H. M. Enzensberger macht uns Mut: „Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht auch ein Gedicht zustande brächten! Wir brauchen nicht bei null anzufangen. Schließlich blickt die Menschheit auf ein paar tausend Jahre Erfahrung in dieser Kunst zurück. Davon kann sich jeder ein paar Scheiben abschneiden.“ ZWISCHENRAUM 4 „Themen“ gesucht – Rezepte gefunden Und worüber soll ich ein Gedicht schreiben? Ohne Zweifel steht diese Frage am Anfang vieler Gedichtversuche. Hier eine kleine Auswahl an Rezepten aus Enzensbergers Rezeptsammlung „Lyrik nervt“. Zwar besagt ein Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei“, für die folgende Rezeptauswahl muss das allerdings nicht gelten. Diese Rezepte können allein, zu zweit, in der Gruppe, ganz nach Belieben ausprobiert werden. Das erste Enzensberger-Rezept: „Groß und klein“ Schreiben Sie über alles, was Sie wollen, rät Enzensberger, denn die Lyrik ist ein „Allesfresser“, und es gibt nichts, was in ihr nicht seinen Platz finden könnte. Sie kann von etwas „Winzigem“ genauso handeln wie von etwas Bedeutendem. „Es gibt schätzungsweise ein paar hunderttausend Gedichte, die sich über die Vergänglichkeit beklagen, darüber, dass alles, was entsteht, irgendwann wieder zugrunde gehen muss und dass wir alle irgendwann mal sterben werden“, so Enzensberger. Aber warum nicht auch über das „Kleine“, Alltägliche schreiben? Die von Enzensberger vorgeschlagenen Möglichkeiten reichen von „Schokolade“ über „Zungenkuss“, „Faulheit“, „Zwiebel“, „Streichholz“, „Klorolle“ bis „Fliegenpracker“. Sogar über „Socken“ können Gedichte entstehen, wie das Gedicht des chilenischen Nobelpreisträgers Pablo Neruda zeigt: […] zwei Socken, mollig anzufühlen wie Hasen. In sie steckte ich die Füße wie in zwei Futterale gewebt aus den Fäden der Dämmerung und Fell der Schafe … Enzensberger-Rezept zwei: „Brezel, Feder, Pause, Klage, Firlefanz“ Denken Sie sich fünf beliebige Wörter aus, schreiben Sie diese auf ein Blatt Papier und machen sie daraus ein Gedicht, in dem alle Wörter in dieser Reihenfolge vorkommen. Machen sie die Probe zum Beispiel mit „Becher, Facebook, Pech, Kastanie, Familie“ . Enzensberger-Rezept drei: „Die erste und die letzte Zeile“ Jeder schreibt auf einen Zettel die erste und die letzte Zeile eines noch nicht existierenden Gedichts und gibt sie weiter an Nachbarn/Nachbarin, die daraus ein Gedicht machen. Je kreativer diese Anfangs- und Endzeilen sind, desto origineller wird das Gedicht. Hier zwei Vorschläge Enzensbergers, laut seiner Aussage „ an den Haaren herbeigezogene Beispiele, aber nur, damit ihr wisst, wie es geht .“ Beispiel eins: Anfangszeile: Wer weiß, was du im Badezimmer treibst? … Schlusszeile: Doch so was kommt in keinem Tatort vor. Beispiel zwei: Anfangszeile: Früher, glaube ich, zahlte den Frust nicht die Krankenkasse. … Schlusszeile: Dann gehen in unserer Disko die Lichter aus. 2 4 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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