Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPRACHRAUM 10 Die Lyrik 116 Schriftliche Kompetenz Literarische Bildung SPRACHLICHE BILDER: DIE METAPHER Metaphern verwenden wir alle täglich: Wir sprechen vom „Flaschenhals“, „Wüstenschiff“, „Katzenzungen“ aus Schokolade, von „sprudelnden“ Gedanken, von der Fußballmannschaft, die das Match komplett „verschlafen“ hat, oder dass jemand „auf den Hund gekommen“ sei. Offenbar ist die Idee naheliegend, dass der entsprechende Teil der Flasche einem menschlichen Hals ähnlich schaut, schwankende Kamele beim Gang durch die Wüste an schlingernde Schiffen auf See erinnern, die Schokolade an die Zungen von Katzen und schnell formulierte Gedanken dem Sprudeln von Quellwasser gleichen. Natürlich schläft die Mannschaft beim Match nicht, ist aber auf dem Platz nicht „präsent“. Und wie ist das mit dem Hund, auf den man kommt? In früherer Zeit waren auf dem Boden von Geldtruhen oft zur Abschreckung von Dieben Hunde abgebildet. Wer den Hund in seiner Geldtruhe sah, hatte schon das letzte Geld herausgenommen, war also am Ende. Bei einer Metapher wird also ein Begriff bildhaft aus einem Bedeutungsbereich in einen anderen, vergleichbaren übertragen. Ganz außergewöhnliche, einprägsame Metaphern seiner zwei Dichterkollegen Adam Zagajewski und Charles Simic hat Hans Magnus Enzensberger gesammelt: Der Regen diktierte ein langes, langweiliges Referat (Adam Zagajewski); Im Salon döste das alte Klavier, ein Flusspferd mit gelben und schwarzen Zähnen (Adam Zagajewski); Wassermelonen – grüne Buddhas am Obststand. Wir essen das Lächeln und spucken die Zähne aus (Charles Simic); Schla±osigkeit, du bist wie ein Leihhaus an einer Straße mit bankrotten Geschä’en (Charles Simic). Gedichte sind außer von Klang und Rhythmus auch geprägt von sprachlichen Bildern, den Stilfiguren . Die häufigste Stilfigur ist die Metapher . Dabei wird ein Begriff aus einem Bedeutungsbereich auf einen andern übertragen, mit dem bestimmte Ähnlichkeiten bestehen. Ein Berg hat zwar keinen Rücken, die Silhouette des Berges kann aber an einen Rücken erinnern: So sprechen wir vom „Bergrücken“. Metaphern selbst anwenden können Stellen Sie sich verschiedene Personen vor, die kurz vor dem „Zerplatzen“ stehen, und ergänzen Sie die folgenden Metaphernbruchstücke: 10.7 Fritz vor Zorn. Erika mit den Füßen. Stephanie gleich. Plötzlich die Wut in Madeleine hoch. In Yvonne es. Irmgard musste ablassen. Christines Antwort brachte zum Überlaufen. 2 4 6 8 10 Metaphern in Gedichten erkennen können Lesen Sie das folgende Gedicht; es stammt aus dem Barock, einer Epoche, die ausgefallene Metaphern besonders liebte. Markieren Sie im Anschluss daran die Metaphern, versuchen Sie die Metaphern zu erklären. Ein Beispiel: In Vers zwei kommt die Metapher „der liebe feuerzeug“ vor. Erklärung: Wie ein Feuerzeug das Feuer entfacht, so Amanda die Liebe des Dichters. 10.8 a Schließen Sie ein kreatives Experiment an: Gestalten Sie das „Allegorische Sonett“ um: Amanda hat den Liebhaber heftig und für immer abgewiesen. Oder übertragen Sie das Gedicht und seine Metaphern ins 21. Jahrhundert: „Elisa, Schönste du/du Black Bull meiner Sehnsucht …“ b Unbekannter Verfasser: Allegorisch Sonett (um 1700) Amanda liebstes kind / du brustlatz kalter hertzen Der liebe feuerzeug / goldschachtel edler zier Der seuzer blasebalg / des traurens lösch-papier Sandbüchse meiner pein / und baum-öhl meiner schmertzen Du speise meiner lust / du ±amme meiner kertzen [...] Du andachts-fackelchen / du quell der fröligkeit Du tieer abgrund du / voll tausend guter morgen Der zungen honigseim / des hertzens marcipan Und wie man sonsten dich mein kind beschreiben kan. Lichtputze meiner noth / und ±ederwisch der sorgen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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