Sprachräume 1, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

113 Literarische Bildung Grundbegriffe aus der Dichterwerkstatt KLÄNGE UND REIME Wieso reimen Dichterinnen und Dichter? Grund eins: Die Freude an Klangwiederholungen gehört zu unseren frühesten Erfahrungen mit der Sprache, Kindersprüche und Abzählreime enthalten die ersten Reime: „Ene mene mu – und raus bist du!“, „Messer, Gabel, Scher‘ und Licht – sind für kleine Kinder nicht“ und „Fischers Fritze fischte frische Fische …“. Auch das letzte Beispiel zeigt übrigens Reime, so genannte Stabreime. Grund zwei: Gereimtes merkt man sich leichter als Ungereimtes. Die frühesten Gedichte der deutschen Literatur zum Beispiel waren Segens- und Zaubersprüche, die den Reim benutzten, damit sie immer ganz genau wiedergegeben werden konnten, um zu wirken. Die Arten der Reime Der älteste Reim – der Stabreim (die Alliteration): Beim Stabreim reimen die Anfänge betonter Wörter. Mit dieser Reimform beginnt die deutsche Literatur. Hier ein Beispiel aus den Merseburger Zaubersprüchen, aufgeschrieben um 950, in denen ein verrenktes Pferdebein auf magische Weise geheilt werden soll: b en zi b ena bluot zi bluo da Bein zu Bein Blut zu Blut li d zi geli den s ose geli minda s in Glied zu Glied als ob sie geleimt wären In Redewendungen sind Alliterationen noch oft erhalten: trotz Wind und Wetter; mit Mann und Maus; um Kopf und Kragen, mit Kind und Kegel. Selten, aber besonders kunstvoll – der Binnenreim: Reim von Wörtern im Versinneren: Im Lenzen beglänzen die Strahlen der Sonne Die Felder und Wälder mit freudiger Wonne. Der witzigste Reim – der Schüttelreim: Die Anfangskonsonanten der letzten beiden betonten Silben werden miteinander vertauscht: Das Mädchen mit dem sch icken D u’, vermählt sich mit dem d icken Sch u’. Nur Wasser trinkt der V ier b einer, der Mensch ¥ndet’s B ier f einer. Der häufigste Reim – der Endreim: Gleichklang von Wörtern am Versende ab dem letzten betonten Vokal: Es gibt nichts Gutes , Dieses war der erste Streich , außer: man tut es . doch der zweite folgt so gleich . Endreime, bei denen zwei Silben reimen wie im ersten Beispiel, nennt man weibliche (klingende) Reime. Reimt jeweils nur eine Silbe (zweites Beispiel), spricht man von männlichen (stumpfen) Reimen. Reine Endreime erfordern genauen Gleichklang ab dem Vokal der letzten betonten Silbe. Ökumenischer Dialog „Trinken ist ein Laster – Ist das klar, Herr Paster !“ Alles klar, Herr Kaddinal – Dassselbe bidde nocheimmal ! Unreine Endreime, auch manchmal Halbreime genannt, begnügen sich mit annäherndem Gleichklang. An die Damen Verehrt nicht jene schiechen Herren , die besser nicht geboren wären . Ich bin bei Gott noch mal so schön – ich bitte, zu mir aufzusehn . Die wichtigsten Reimarten sind Stabreim, Endreim, Binnenreim, Schüttelreim. Die häufigste Reimform ist der Endreim . Er kann erscheinen als Paarreim (Reimschema aa, bb, cc …) als Kreuzreim (abab cdcd), umschlungener Reim abba cddc; Haufenreim (aaa bbb ccc). Es gibt „reine“ und „unreine“ Reime. „Reine“ Reime reimen ab der letzten betonten Silbe, „unreine“ Reime begnügen sich mit ungefährem Gleichklang. Manchmal werden bewusst nicht reimende Verszeilen eingesetzt, die „Waisen“ . Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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