scheidet sich kaum: Man wolle nicht länger hinnehmen, dass Ermittlungen und Prozesse des Weltgerichtshofs nahezu ausschließlich gegen Afrikaner geführt werden, aber Kriegsverbrechen oder andere Vergehen westlicher Politiker und Militärs vollends ausgeblendet blieben. In Den Haag verfolge ein Gericht der Weißen einseitig Menschen mit dunkler Hautfarbe, so die Argumentation. (…) Was ist an solcher Generalkritik berechtigt, wenn mit Frau Fatou Bensouda seit 2012 eine ehemalige Justizministerin aus Gambia als Chefanklägerin des ICC fungiert? Fraglos fällt es schwer, nach knapp anderthalb Jahrzehnten ICC den Eindruck zu entkräften, dass sich in Den Haag eine Rechtsprechung etabliert hat, deren Unabhängigkeit und Überparteilichkeit leider nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Tatsächlich haben sich Ermittler und Ankläger dieses Gerichts seit 2003 bevorzugt mit schweren Rechtsbrüchen im Sudan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Uganda, Kenia, Libyen, der Elfenbeinküste und Mali beschäftigt. In nichtafrikanischen Staaten wurde – wegen möglicher Kriegsverbrechen und anderer Delikte – lediglich in Georgien und der Ukraine ermittelt, mehr jedoch nicht. (…) Wird künftig ein mutmaßlich weiter abnehmender Teil der afrikanischen Staaten dem ICC zuarbeiten, dürfte dessen Handlungsvermögen Schaden nehmen. Das Gericht hat keine eigenen Vollzugs- und Vollstreckungsorgane, es ist auf die seiner Mitgliedstaaten angewiesen – und deren politischen Willen. Eine ohnehin selektive Rechtsprechung droht noch selektiver zu werden, allein weil die materiellen Voraussetzungen schrumpfen. (…) Mehr noch, durch die in den 90er Jahren entstandenen Wahrheitskommissionen sollten Willkür und Schande der Rassentrennung eher aufgearbeitet als geahndet werden. Um der inneren Versöhnung zu dienen, wagte die südafrikanische Zivilgesellschaft den Versuch, Täter und Mitläufer des Apartheid Regimes nach dem Prinzip „Sühnen ist besser als strafen“ zur Rechenschaft zu ziehen. Das Exemplarische dieser Praxis wird heute kaum mehr erinnert. Dabei erscheint es für viele afrikanische Gesellschaften, die mehr denn je von ethnischen und konfessionellen Konflikten zerrissen werden, so dass ganze Staaten scheitern, doch ratsam, eine Rechtskultur zu finden, die friedensstiftend wirkt. Wenn freilich Sieger über Besiegte Gericht halten, lassen sich Hass und Feindschaft schwerlich eindämmen. (…) (Herden, Wer geht, kommt nicht wieder. In: Der Freitag, Ausgabe 45/2016, 10. 11. 2016, S. 9. Online auf: https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/wer-geht-kommtnicht-wieder, 11. 1. 2018) Der Fall Ahmad al-Faqi al-Mahdi, der sich vor dem ICC schuldig bekannte: Ahmad al-Faqi al-Mahdi (also known as Abu Tourab) was a member of (…) a Tuareg Islamist M5 militia in North Africa. Al-Mahdi pleaded guilty in the International Criminal Court (ICC) in 2016 for the war crime of attacking religious and historical buildings in the Malian city of Timbuktu. (…) The ICC opened a formal investigation on Mali on 16 January 2013 to investigate alleged crimes, that occurred since January 2012 in the context of an armed conflict in the north of the country. The court issued an arrest warrant for al-Mahdi on 18 September 2015. The arrest warrant alleges, that from about 30 June 2012 to 10 July 2012 in Timbuktu, al-Mahdi committed the war crime of intentionally directing attacks against historical monuments or buildings dedicated to religion. The case against al-Mahdi represented the first time, the ICC had indicted an individual for the war crime of attacking religious buildings or historical monuments. (…) (Ahmad al-Faqi al-Mahdi. Online auf: https://en.wikipedia.org/wiki/ Ahmad_al-Faqi_al-Mahdi, 11. 1. 2018) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite in M1 jene Faktoren heraus, denen Wolfrum für die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) besondere Bedeutung zuerkennt. 2. Arbeite anhand von M2 und M3 Prinzipien und Arbeitsweise des ICC heraus. Beurteile sie hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte. 3. Arbeite in M4 heraus, welche Vorbehalte afrikanische Staaten gegenüber der Vorgangsweise des ICC vorbringen und wie Herden diese Kritik beurteilt. Nimm dabei Stellung zu den von Herden dargestellten möglichen Folgen und beurteile diese. Beachte auch die Folgen für eine berechtigte Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (in Afrika). 4. Arbeite in M5 heraus, weswegen der ICC Ahmad al-Faqi alMahdi anklagte. Nimm Stellung dazu, inwieweit solche Verbrechen als Kriegsverbrechen bzw. als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden sollen. 5. Erörtere die Vor- und Nachteile einer Konfliktbewältigung mittels „Wahrheitskommissionen“, wie sie in Südafrika eingerichtet und praktiziert wird. Nimm dabei auch Stellung zur Überlegung „Sühne ist besser als Strafe“. Islamisten zerstören ein Jahrhunderte altes religiöses Bauwerk in Timbuktu. Video-Still, 1. 7. 2012. Internationale Politik der Gegenwart 95 Folgen von Entscheidungen und Urteilen abschätzen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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