1.3 Der Internationale Strafgerichtshof Die Arbeitsaufträge 1 bis 3 erweitern deine Kompetenz, Urteile auf ihre Vereinbarkeit mit Grund- und Freiheitsrechten zu überprüfen. Aufgabe 4 und 5 leiten dazu an, dich mit den Folgen von Urteilen auseinanderzusetzen. Der ICC nahm 2002 seine Tätigkeit auf. Von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind 124 dem Statut beigetreten. Die drei Großmächte USA, Russland und die VR China sind keine Mitglieder des ICC (Stand: 2018). Angeklagt werden vor dem Internationalen Strafgerichtshof Personen, vor dem Internationalen Gerichtshof hingegen Staaten. Der Historiker Edgar Wolfrum zum geschichtlichen Entstehungskontext des ICC, 2017: Das moralpolitische Erneuerungsversprechen, das den Menschenrechten innewohnte, verstärkte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Doch ging es mit den Menschenrechten keineswegs voran, wie erhofft, ganz im Gegenteil: Die Welt war in den 1990er Jahren mit neuen Genoziden konfrontiert, die man niemals mehr erwartet hatte. (Völkermorde in Jugoslawien und Ruanda) (…) Nachdem dies dennoch zum Erschrecken der Weltöffentlichkeit geschehen war, setzte die UN ein Internationales Strafgericht ein, das Kriegsverbrechen verfolgen sollte. 1998 traf eine internationale diplomatische Konferenz in Rom die Jahrhundert-Entscheidung, Grundlagen zur Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichts (International Crime Court, ICC) zu schaffen. (…) Dass der ICC 1998 durch einen internationalen Vertrag ins Leben gerufen wurde, verleiht ihm besonders hohe Legitimität, 2002 nahm er seine Arbeit auf. In den folgenden Jahren ermittelte er in zahlreichen Staaten. Vier „Situationen“, wie es juristisch hieß, wurden durch die betroffenen Staaten selbst überwiesen – Demokratische Republik Kongo, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Mali – und in zwei Situationen – Sudan und Libyen – geschah eine Überweisung durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Als größtes Problem erwies sich für den Internationalen Gerichtshof, eine neue Rechtsprechung zu etablieren, denn es mussten ja stets auch konträre politische Interessen zwischen unterschiedlichen Staaten berücksichtigt werden. Der ICC sollte nur in Fällen tätig werden, in denen ein an sich dazu berufener Nationalstaat schwerste Verbrechen nicht selbst verfolgen konnte oder wollte. (Wolfrum, Welt im Zwiespalt, 2017, S. 193 f.) Verurteilung Thomas Lubangas wegen des Einsatzes von Kindersoldaten im Krieg in der Demokratischen Republik Kongo (1998–2003), 2012. Lubanga wurde am 19. März 2005 von kongolesischen Behörden verhaftet. Am 10. Februar 2006 erging von Seiten des IStGH Haftbefehl gegen Lubanga wegen des Verdachts der Rekrutierung und Verpflichtung von Kindern unter 15 M1 M2 Jahren für militärische Zwecke sowie des Einsatzes von Kindern für die aktive Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen. Daraufhin wurde Lubanga am 17. März 2006 dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben und am 28. August 2006 vor diesem Gericht angeklagt. Damit war er der erste Verdächtige, der nach einem Haftbefehl des IStGH an diesen übergeben wurde, und auch der erste Angeklagte in der Geschichte des Gerichts. Nach Weigerung der Anklagebehörde, die Identität eines Entlastungszeugen bekanntzugeben, wurde das Verfahren am 8. Juli 2010 zeitweise ausgesetzt. Lubanga verblieb nach einem entsprechenden Einspruch der Anklage gegen diese Entscheidung weiterhin in Haft. Am 14. März 2012 wurde er vom Gerichtshof schuldig gesprochen, die Strafbemessung erfolgte am 10. Juli 2012. Lubanga wurde zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Am 1. Dezember 2014 wurde das Urteil von der Rechtsmittelkammer des Gerichtshofs bestätigt. (Nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Lubanga, 11. 1. 2018) Die Völkerrechtsexperten David Scheffer und Manfred Novak zu Dauer und Kosten der Verfahren am ICC, 2012: Scheffer: „Ja, dafür (lange Verfahrensdauer, hohe Kosten) gibt es aber Erklärungen. Etwa, dass es meist langwieriger ist, Verbrechen dieser Größenordnung zu untersuchen als etwa einen normalen Mord. Und dann war es auch das angriffige Vorgehen der Verteidigung – aber das ist meines Erachtens eine positive Nachricht. Es zeigt, dass am ICC die Beschuldigtenrechte ernst genommen werden.“ (…) Nowak: „Entweder wollen wir diese internationale Gerichtsbarkeit gegen die extremsten Formen der Grausamkeit, oder wir wollen sie nicht. Wenn ja, so kostet das Geld. Die Prävention durch Urteile wie gegen Lubanga ist nicht zu unterschätzen. So kommt dieses Gericht weit billiger, als wenn man Staaten nach Bürgerkriegen beim Wiederaufbau helfen muss.“ (Der Standard, 20. 3. 2012, S. 2) Der Journalist Lutz Herden über den ICC, 2016: Zugegeben, der Haager Weltgerichtshof (ICC) verfügte in Afrika noch nie über eine begeisterte Lobby, doch gab es eine Gruppe von Staaten, die sich der Einsicht nicht verschließen wollten, dass Rechtspflege notfalls nationale Grenzen sprengen muss. Besonders dann, wenn es Kapitalverbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggressionen gegen Staaten wie Völker zu sühnen gilt. Immerhin wurde in 34 Ländern dieses Kontinents das Rom-Statut – die 1998 ausgehandelte Magna Charta des ICC – anerkannt, während 20 afrikanische Länder von Anfang an kategorisch auf Distanz gingen. Die Skeptiker und Gegner erhalten nun Zulauf. (…) Wie die Abtrünnigen ihre Abkehr begründen, unterM3 M4 Kompetenztraining Politische Urteilskompetenz Sonderseite Ü2 94 Vorliegende Urteile hinsichtlich ihres Entstehungskontextes auf ihre Kompatibilität mit Grund- und Freiheitsrechten überprüfen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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