Zeitbilder 8, Schülerbuch

Die Gemeinden bekommen im so genannten Finanzausgleich von Bund und Ländern die finanziellen Mittel, mit denen sie einen Großteil ihrer teilweise sehr kostenintensiven Aufgaben (z. B. Schulerhaltung, Umweltschutzanlagen, Kanalisation) erfüllen können. Gemeindevertretung und Bürgermeisteramt Das beschließende und kontrollierende Organ der Gemeinde ist der Gemeinderat. Er wird wie Nationalrat oder Landtag nach dem Listenwahlrecht direkt gewählt. Entsprechend dem Stärkeverhältnis der Parteien wählt dieses „Gemeindeparlament“ die „Gemeinderegierung“ (= Gemeindevorstand, in Städten der Stadtrat oder Stadtsenat). Die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister führt den Vorsitz im Gemeinderat und im Gemeindevorstand. Sie oder er allein ist im übertragenen Wirkungsbereich Bund und Land und im eigenen Wirkungsbereich dem Gemeinderat gegenüber verantwortlich. Nur in Niederösterreich, in der Steiermark und in Wien werden die Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister noch vom Gemeinderat gewählt (Stand: 2018). In den anderen Bundesländern werden sie direkt vom Volk gewählt. Wer dabei mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen erhält, ist das gewählte „Gemeindeoberhaupt“ – unabhängig vom Kräfteverhältnis der Parteien im Gemeinderat. Gibt es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidatinnen und Kandidaten. Zivilgesellschaft statt „Zuschauerdemokratie“ Seit den 1970er Jahren sind die Bürgerinnen und Bürger in Österreich politisch aktiver geworden – und zwar außerhalb der Bereiche, die von Parteien und staatlichen Institutionen „besetzt“ sind. Diese Menschen wollen nicht, dass Politik nur „von oben“ gesteuert und von einer (Parteien-)Elite ausgeübt wird. Ihr Ziel ist: weg von einer „Zuschauerdemokratie“, in der die Bevölkerung nur passiv politische Entscheidungen zur Kenntnis nimmt, und hin zu selbst organisiertem, politischen Handeln. Aus diesem neuen politischen Verständnis heraus entwickelte sich die gegenwärtige, politisch aktive „Zivilgesellschaft“. Die Aktivitäten dieser gesellschaftlichen Gruppen wurden u.a. in der Frauen-, Anti-Atom-, Umwelt- sowie Friedens- und Menschenrechtsbewegung sichtbar (vgl. S. 130 ff.). Die heutigen Menschenrechts- (z. B. Amnesty International, SOS Mitmensch) und Umweltorganisationen (z. B. Greenpeace, Global 2000) sind auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene aktiv und miteinander vernetzt (z. B. internationale Konferenzen der NGOs). Zur Zivilgesellschaft im weiteren Sinn zählen auch alle jene privaten Vereine und Institutionen, die für die Öffentlichkeit Leistungen erbringen (Freiwillige Feuerwehr, Caritas, Rotes Kreuz usw.) (vgl. auch S. 46 f.). Bürgermitbestimmung – lokal und staatlich Direkte Demokratie in Form von aktiver Bürgerbeteiligung an politischen Prozessen findet in Österreich öfter in den Gemeinden als auf gesamtstaatlicher Ebene statt. Schon in den 1960er Jahren kam es zur Gründung von Bürgerinitiativen und zum oft erfolgreichen Kampf gegen politische Entscheidungen. Seit 1974 hat Graz ein „Büro für Bürgerinitiativen“. Dort werden Auskünfte erteilt, dort können sich Bürgerinitiativen registrieren lassen und dort werden Besprechungen zwischen allen Betroffenen organisiert. 1977 kandidierte in Salzburg erstmals eine „Bürgerliste“ bei Gemeinderatswahlen und war seither immer wieder im Salzburger Gemeinderat (z. T. auch in der Stadtregierung) vertreten. Mittlerweile gehören Bürgerinitiativen längst zum politischen Alltag. Sie engagieren sich nicht nur bei Problemen, die ihre unmittelbare Umwelt betreffen (z.B. umweltgefährdende Betriebe, neue Betriebsansiedlungen). Vor allem in Verkehrs- (Transitrouten) und Energiefragen (Kraftwerksbauten) sind sie auch überregional organisiert. Die zehn stimmenstärksten Volksbegehren in Österreich (Stand: 2019) Jahr Betreff Unterschriften 1982 1997 2002 1975 1969 2018 1964 2002 1997 2004 1 316 562 1 225 790 914 973 895 665 889 659 881 692 832 353 717 102 644 665 627 559 Gegen Konferenzzentrum Gegen Gentechnik Veto gegen Temelin Schutz des menschlichen Lebens Einführung der 40-Stunden-Woche Don´t Smoke Für ORF-Refom „Sozialstaat Österreich“ Frauen-Volksbegehren Pensions-Volksbegehren Quelle: https://www.bmi.gv.at/411/files/VB_Ranking_aktuell_ Nov2018.pdf, 8. 1. 2019. Direkte Demokratie, also unmittelbare Bürgermitbestimmung, ist auch auf Staatsebene durch die Verfassung gewährleistet: in Form von Volksbefragungen, Volksabstimmungen (Kernkraftnutzung, EU-Beitritt), parlamentarischen Bürgerinitiativen und Volksbegehren. 42 solcher Volksbegehren wurden zwischen 1964 und 2018 mit teilweise hoher Beteiligung durchgeführt (s. Grafik). Doch blieb vielen davon der Erfolg versagt, weil der Nationalrat einen entsprechenden Gesetzesbeschluss ablehnte (vor allem dann, wenn das Volksbegehren von der Opposition eingeleitet oder unterstützt wurde). Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse zusammen, welche Aufgaben derzeit unter die staatliche Verwaltung fallen. Diskutiert in der Klasse darüber, ob der Staat a) mehr Aufgaben übernehmen oder b) es bei den derzeitigen Aufgaben belassen soll. 2. Erkundige dich über die Finanzsituation in deiner Heimatgemeinde: Was sind ihre wichtigsten Einnahmequellen? Welche Projekte sind für Jugendliche geplant? 3. In der Schweiz gibt es über wichtige politische Themen immer Volksabstimmungen, in Österreich bisher erst zweimal. Führt eine Pro- und Kontra-Debatte in der Klasse über die Abhaltung von Volksabstimmungen durch (z. B. über den Ausbau von Straße/Bahn, Anhebung des Pensionsalters). Politische und rechtliche Systeme 45 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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