Bei den Nationalratswahlen 1994 fiel er zum ersten Mal unter die Zweidrittelmarke (63 Prozent), im Jahr 1999 dann auf 60 Prozent und erreichte 2013 mit 50,8 Prozent einen absoluten Tiefstand. Die ÖVP lag 1999 mit 27 Prozent und 415 Stimmen weniger als die FPÖ nur an dritter Stelle. Nach einem großen Wahlerfolg im Jahr 2002 erlebte die ÖVP 2013 mit 24 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit ihrer Gründung, wurde aber 2017 wieder zur stärksten Partei und steigerte sich bei den Wahlen 2019 weiter auf 37,5 Prozent. Auch die SPÖ verlor seit 1990 bei den Nationalratswahlen viele Stimmen und Mandate. Im Jahr 2008 sank die Partei erstmals unter 30 Prozent und erreichte bei den Wahlen 2019 ihren historischen Tiefstand mit 21,2 Prozent. Profitiert hat aus dieser Entwicklung mehrmals vor allem die FPÖ: Sie wuchs von 1983 bis 1999 von einer Kleinpartei zur zweitstärksten Partei heran, verlor aber als Regierungspartei deutlich an Stimmen. Doch trotz der Parteispaltung durch das BZÖ (2005) wurde sie mit ihrem neuen Parteiobmann Heinz-Christian Strache zwischen 2006 und 2017 wieder deutlich stärker. Die FPÖ bildete mit der ÖVP ab 2017 wieder eine Koalitionsregierung, ehe das so genannte „IbizaVideo“ 2019 zu ihrem frühen Ende führte (vgl. auch S. 22). Beide FPÖ-Abspaltungen, das Liberale Forum (seit 1999) und das BZÖ (seit 2013), sind nicht mehr im Nationalrat vertreten. Die vom austro-kanadischen Unternehmer Frank Stronach gegründete Liste FRANK war zwischen 2013 und 2017 im Nationalrat vertreten. Die Liste NEOS, 2012 gegründet, stellt seit 2013 als Kleinpartei Abgeordnete im Nationalrat. Sie erzielte bei den Wahlen 2019 mit 8,1 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis. Nur zwei Jahre lang (2017–2019) schaffte es die Liste „Pilz“ (ab 2018 „JETZT“) des früheren Grün-Abgeordneten Peter Pilz in den Nationalrat. Diese Abspaltung war mitverantwortlich dafür, dass die Grünen 2017 erstmals seit ihrem Einzug 1986 nicht mehr im Nationalrat vertreten waren. Bereits bei der vorgezogenen Wahl 2019 erreichten sie jedoch den Wiedereinzug sowie ihr bislang bestes Wahlergebnis. In weiterer Folge bildeten die Grünen 2020 als Juniorpartner mit der „türkisen“ ÖVP eine Koalitionsregierung. Die KPÖ, einstmals „vierte Kraft“ im Land, erhält bei Nationalratswahlen seit den 1980er Jahren nicht einmal mehr 1 Prozent der Stimmen. Die Veränderung der Parteien(-landschaft) Starke Stimmenverluste der ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ, eine zwischenzeitlich starke FPÖ, eine relative stabile Grünen-Partei und einige kleine, wechselnde Parteien kennzeichnen in den letzten Jahrzehnten die Parteienlandschaft im österreichischen Nationalrat (s. Grafik, S. 37). 2017 kämpften bundesweit 16 Parteien um Mandate im Nationalrat – eine Rekordbeteiligung! Das Meinungsforschungsinstitut IMAS begründete 2011 diese Veränderungen so: „Allerweltsparteien“ statt Lagerparteien L Hauptgründe für die spätestens ab 1990 total veränderte Parteienlandschaft sind zum einen das breiter gewordene Spektrum der politischen Mitbewerber, mindestens so sehr aber auch die völlig anders gestalteten Rahmenbedingungen und Problemstellungen der Politik. Überalterung, Globalisierung, Wanderungsbewegungen, ethnische Vermischung, digitale Revolution, neue Informationstechnologien, europäische Verklammerung, Klimawandel, konfessionelle Vielfalt etc. haben grundlegend neue Fragen aufgeworfen. Es geht heute nicht mehr um Verteilungskämpfe allein, sondern um ein ganzes Bündel neuer Probleme. (…) (…) die Gesellschaft, wie sie von Karl Marx (…) beschrieben wurde, gibt es heute nicht mehr. Wir haben es jetzt mit einer Wählerschaft zu tun, die ihre Klassenbindung (…) verloren hat. Die Volksparteien traditionellen Zuschnitts leiden zugleich am Absterben ihrer Kernmilieus [= Stammwählerschichten]. (IMAS International, Abschied von Wählern und Milieus, Nr. 2, 2011, S. 2) Fasse in eigenen Worten die neuen politisch-gesellschaftlichen Problemstellungen zusammen. Die Politikwissenschafter Fritz Plasser und Franz Sommer analysierten 2018 die Entwicklung der Parteienlandschaft von den 1980er Jahren bis zur Wahl 2017 so: L Tatsächlich zeichnete sich die Erosion (= Auslaugung) der traditionellen Großparteien bereits in den späten 1980er Jahren ab. Das rechtspopulistische Momentum (= Impuls) der von Haider angeführten FPÖ drängte beide Großparteien in die wahlpolitische Defensive. Die FPÖ brach in traditionelle Hochburgen der SPÖ ein. Erhebliche Teile der Arbeiterschaft kehrten ihrer traditionellen Partei den Rücken und wählten die FPÖ. Die ÖVP wiederum verlor unzufriedene Handwerker, Gewerbetreibende und Angestellte an die FPÖ, die vor allem unter parteiungebundenen, unzufriedenen Wählergruppen erheblichen Zulauf fand. FPÖ-interne Konflikte während ihrer Zeit als Koalitionspartner der ÖVP (…) bedeuteten aber im Rückblick nicht das Ende, sondern nur eine temporäre Unterbrechung des rechtspopulistischen Momentums, das durch das konfliktäre Erscheinungsbild der SPÖ + ÖVP-Koalitionsregierung, problematische Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten, eine skeptische Grundstimmung gegenüber einer überfordert wirkenden EU, massive Vertrauensverluste politischer Eliten wie die epochale Flüchtlings- und Asylkrise neuerlich an Dynamik gewann. (Plasser/Sommer, Wahlen im Schatten der Flüchtlingskrise, 2018, S. 16) Die Wählerbasis der österreichischen (Groß-)Parteien hat sich durch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. deutlich gewandelt. 38 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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