Zeitbilder 8, Schülerbuch

Das bundesstaatliche Prinzip Q Artikel (1) Österreich ist ein Bundesstaat. (2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbstständigen Ländern. (…) Artikel 15 (1) Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbstständigen Wirkungsbereich der Länder. (Bundes-Verfassungsgesetz) Dieses Prinzip bedeutet die Aufteilung der Staatsgewalten (Gesetzgebung und Vollziehung) zwischen Bund und Ländern. Die Gerichtsbarkeit jedoch ist ausschließlich Bundessache. Die Länder haben über die zweite Kammer des Parlaments, den Bundesrat, ein sehr geringes Mitwirkungsrecht an der Bundesgesetzgebung – nämlich in Form eines aufschiebenden Vetos gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats. Auch sonst liegt das Übergewicht beim Bund. Die Kompetenzen (= Zuständigkeiten) der Länder sind bescheiden. Ihre wichtigsten sind: Raumplanung, Bauwesen, Sozialwesen, Naturschutz und Jugendschutz. Das rechtsstaatliche Prinzip Q Artikel 18 (1) Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. (Bundes-Verfassungsgesetz) In einem Rechtsstaat ist der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden. Die Vollziehung (= Verwaltung und Gerichtsbarkeit) wiederum ist an die bestehenden Gesetze gebunden. Die Einhaltung dieses so genannten Legalitätsprinzips überwachen als oberste Kontrollinstanzen der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof (vgl. S. 54 f.). Bürgerin und Bürger haben zur Durchsetzung ihrer Rechte die Möglichkeit, gegen Entscheidungen (= Bescheide) der Verwaltungsbehörden (z. B. Finanzamt, Bezirkshauptmannschaft, Landes- oder Stadtschulrat) und gegen Urteile der Gerichte Rechtsmittel (Beschwerde, Berufung) zu ergreifen. Das Prinzip der Gewaltentrennung Q Artikel 94 Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. (Bundes-Verfassungsgesetz) Die Trennung der drei Staatsgewalten Gesetzgebung (Legislative), Verwaltung (Exekutive) und Gerichtsbarkeit (Judikative) soll die Bürgerinnen und Bürger vor der Übermacht und Willkür des Staates schützen. Die Gewaltentrennung wird in der österreichischen Verfassung nicht lückenlos durchgeführt. Vor allem widerspricht ihr, dass jene politischen Entscheidungsträger (Parteien), die die Verwaltung (Regierung) leiten, auch die Mehrheit in der Gesetzgebung (Nationalrat) bilden. Die Gerichtsbarkeit wird von unabhängigen Richterinnen und Richtern ausgeübt. Verfassung und Verfassungswirklichkeit Die Entwicklung in der Zweiten Republik hat dazu geführt, dass die Verfassung aus dem Jahr 1920 die politischen Prozesse der Gegenwart nur noch teilweise regeln kann. Denn diese Verfassung ist noch stark beeinflusst vom gesetzlichen Regelwerk der Monarchie. Deshalb wird sie in unserem gegenwärtigen Parteien- und Verbändestaat von anderen nicht in der Verfassung verankerten Regeln und Mechanismen ergänzt. In der Realpolitik wird in vielen Fällen der Verfassung nur noch im formalen Ablauf entsprochen – wie die folgenden Beispiele zeigen: In der Gesetzgebung Q Artikel 41 (1) Gesetzesvorschläge gelangen an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates sowie als Vorlagen der Bundesregierung. (2) Jeder von 100 000 Stimmberechtigten (…) gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. (Bundes-Verfassungsgesetz) Die Bundesverfassung sieht für die Gesetzwerdung die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Nationalrat, die Initiative einzelner Abgeordneter, Anträge des Bundesrates oder die Initiative durch ein Volksbegehren vor. Tatsächlich aber gehen die Gesetzesanträge vor allem von der Regierung aus (vgl. Grafik S. 31). Daneben sind auch die Verbände und politischen Parteien ganz wesentlich an der Gesetzgebung beteiligt. Bei der Bestellung der Bundesregierung Q Artikel 70 (1) Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt. Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich. (Bundes-Verfassungsgesetz) In der politischen Wirklichkeit finden Regierungsbildungen normalerweise im Anschluss an Nationalratswahlen statt. Es hat auch bis heute kein Bundespräsident eine Regierung von sich aus entlassen. Auch bei der Auswahl des Bundeskanzlers ist der Bundespräsident in der Verfassungswirklichkeit an die Ergebnisse der Nationalratswahlen gebunden: Erhält eine Partei die absolute Mehrheit, so ist er faktisch gezwungen, den Kanzlerkandidaten dieser Partei auch zu ernennen. Bis zum Jahr 2000 stellte immer jene Partei den Bundeskanzler, die im Nationalrat die (relative) Mehrheit an Abgeordneten hatte. 34 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=