Zeitbilder 8, Schülerbuch

das zentrale Merkmal jeder parlamentarischen Demokratie. Doch im politischen Alltag fallen die wichtigen Entscheidungen für das Entstehen neuer Gesetze oder für die Anpassung alter (= Gesetzesnovellen) bereits im „vorparlamentarischen“ Raum. Dieser wird beherrscht von den Parteien, den Verbänden und anderen Interessengruppen (Lobbys), den einzelnen Ministerien und ihren Beamtinnen und Beamten (s. Grafik S. 31). Erst abschließend geschieht die Gesetzgebung im Parlament. Es war oftmals nur noch Vollzugsorgan der beiden großen Parteien, die ihre Entscheidungen längst vorher schon anderswo (z.B. in gemeinsamen Arbeitsausschüssen) getroffen hatten. Seit dem Beitritt zur Europäischen Union hat der Nationalrat jedoch einen großen Teil seiner Gesetzgebungskompetenz an die EU-Organe (Rat, Parlament) abtreten müssen. … und Kontrolle der Regierung Entsprechend der österreichischen Verfassung gilt zwischen Legislative (= Parlament) und Exekutive (= Regierung) das Prinzip der Gewaltenteilung. Doch in der Verfassungswirklichkeit treten Regierung und die Mehrheit des Parlaments immer als Einheit auf. Daher ist in der politischen Praxis die Kontrolle der Regierung durch das Parlament kaum gegeben. Denn die Regierung stützt sich ja – außer bei Minderheitsregierungen – immer auf eine parlamentarische Mehrheit. Daher müssen die Oppositionsparteien die Rolle des Kontrollorgans im Parlament übernehmen. Für das Erfüllen dieser wichtigen Aufgabe können sie sich auf gesetzlich garantierte Kontrollrechte stützen. Neben den Oppositionsparteien können auch der Rechnungshof, der Verwaltungs- und der Verfassungsgerichtshof sowie die Volksanwaltschaft (vgl. S. 54 f.) und die Medien (vgl. S. 80 f.) eine Kontrollfunktion ausüben. Die Kontrollrechte des Nationalrats gegenüber der Regierung sind im Bundes-Verfassungsgesetz festgelegt: Q Artikel 50. (1) Politische Staatsverträge (…) dürfen nur mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen werden. (…) Artikel 51. (1) Dem Nationalrat ist spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres von der Bundesregierung ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das folgende Finanzjahr vorzulegen. (…) Artikel 52. (1) Der Nationalrat und der Bundesrat sind befugt, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen (…) sowie ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben. (…) (…) (3) Jedes Mitglied des Nationalrates und des Bundesrates ist befugt, in den Sitzungen des Nationalrates oder des Bundesrates kurze mündliche Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung zu richten. (…) Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. (…) Artikel 74. (1) Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben. [= Misstrauensvotum] (Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929) Ermittle, welche Untersuchungsausschüsse im Nationalrat in der jüngeren Vergangenheit stattgefunden haben. Erkläre, warum die so genannten Misstrauensanträge im Nationalrat praktisch nie eine Mehrheit erhalten. Linktipp: https://www.parlament.gv.at/PAKT/USA/. Landtage und Landesregierungen Ähnlich wie auf Bundesebene funktioniert das parlamentarische System auf der Ebene der neun Bundesländer. Die Gesetzgebungsperiode dauert ebenso fünf Jahre (in Oberösterreich sechs). Auf unterschiedliche Weise erfolgen jedoch die Regierungsbildungen in den Bundesländern: In Vorarlberg, Salzburg, Tirol, Steiermark, Burgenland und Kärnten werden die Landesregierungen, ähnlich wie auf Bundesebene, nach den Landtagswahlen in freien Koalitionsverhandlungen gebildet. In den anderen Bundesländern gibt es laut Landesverfassung die Verpflichtung zum „Proporz“: Das bedeutet, dass jede Partei ab einer bestimmten Größe in der Landesregierung vertreten sein muss. Eine Mischform gibt es in Wien: Zwar müssen auch hier alle Parteien nach dem Proporzsystem in der Stadtregierung (= Stadtsenat) vertreten sein, doch nicht alle Stadträte haben einen Aufgabenbereich. Die amtsführenden Stadträte können mit einfacher Mehrheit bestellt werden. Regierungschefin oder Regierungschef ist die Landeshauptfrau oder der Landeshauptmann, sie oder er wird von den Mitgliedern des Landtages mit einfacher Mehrheit gewählt. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Analysiere den so genannten „Klubzwang“ bei Abstimmungen: Welche Vor- und Nachteile hat er für die Regierungen bzw. die Parteien? 2. Arbeite mit Hilfe der Grafik „Wie ein Gesetz entsteht“ (s. S. 31) die wesentlichen Stationen einer „Gesetzwerdung“ heraus. 3. Fasse die verfassungsmäßigen Kontrollrechte des Nationalrats zusammen und erstelle eine Rangliste hinsichtlich ihrer Wichtigkeit. 4. Nenne die Vor- und Nachteile von frei gewählten Koalitions- bzw. verpflichtenden Proporzregierungen und nimm Stellung dazu. 32 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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