Mit den Arbeitsaufgaben in diesem Kapitel kannst du deine Historische Sachkompetenz erweitern. 1907 wurde in Haag das bis heute völkerrechtlich verbindliche „Übereinkommen betreffend neutraler Staaten“ geschlossen. Davon ausgehend sollst du am österreichischen Beispiel die Begriffe „Neutralität“ und „Neutralitätspolitik“ anwenden lernen: bei der Entwicklung der Neutralitätspolitik seit 1955 und bei der unterschiedlichen Auslegung dieses völkerrechtlichen Begriffes. Übereinkommen über „Rechte und Pflichten der neutralen Mächte“ (2. Haager Konferenz, 1907): Neutrale Staaten dürfen den Kriegführenden keine Truppen und Operationsbasen zur Verfügung stellen oder ihnen den Durchmarsch gestatten; sie verpflichten sich, neutralitätswidrige Handlungen Kriegführender auf ihrem Gebiet (militärisch) abzuwehren; wird ein neutraler Staat angegriffen, ist er vom Bündnisverbot befreit. (Online auf: http://www.gesetze.ch/sr/0.515.21/0.515.21_000.htm, 9. 4. 2018; zusammengefasst und vereinfacht d. A.) Österreichische Neutralitätspolitik: Darunter versteht man die Ziele und Handlungsweisen, mit denen die österreichischen Regierungen das Verfassungsgesetz über die „immerwährende Neutralität“ seit 1955 in der politischen Praxis umgesetzt haben. Sie veränderte sich im Laufe der Zeit. Im Gegensatz dazu ist „Neutralität“ ein völkerrechtlich definierter Begriff, der im Fall eines internationalen Konfliktes zur Anwendung kommt. (Autorentext) Der Politikwissenschafter und Offizier Gunther Hauser über Neutralität und Sicherheitspolitik: Österreichs Sicherheitspolitik zwischen Neutralität und Solidarität Die Neutralität war für Österreich 1955 der Preis für die Wiedererlangung seiner Souveränität (…). Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 (…) veränderten sich der Sinn und Stellenwert der Neutralität Österreichs. (…) Durch die Beitritte in die Europäische Union und in die NATO-Partnerschaft für den Frieden 1995 war die Neutralität völkerrechtlich und verfassungsrechtlich äußerst eingeschränkt und ist heutzutage sowohl faktisch als auch mittlerweile rechtlich kaum mehr gegeben. Das Verständnis der österreichischen Neutralität Die Neutralität – anfangs vom Großteil der österreichischen Bevölkerung abgelehnt – wurde ab 1955 schrittweise zu einem Bestandteil des österreichischen Selbstwertgefühls. (…) Die österreichische Linie war die der aktiven Neutralitätspolitik. Das hieß: M1 M2 M3 Die militärische Blockfreiheit bei gleichzeitiger weitest möglicher Integration in die UNO sowie in die entstehenden westeuropäischen Strukturen (…). Neutralität und UNO-Mitgliedschaft [Die UNO-Mitgliedschaft] bedeutet (…) Unterstützung und Mitwirkung an politischen, wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen, falls der Sicherheitsrat diese einleitet. (…) Zudem verpflichtet die UNO-Satzung (…) zu kollektivem Beistand, falls ein Mitglied angegriffen wird. (…) Neutralität und Solidarität (…) 1998 wurde auch das BVG dahingehend novelliert, dass sich Österreich überdies an den weiteren Bemühungen um eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beteiligen kann. So auch an den 1997 in den Vertrag von Amsterdam aufgenommenen Kampfeinsätzen außerhalb der EU. (…) Aus der internationalen Zusammenarbeit im Bereich des militärischen Krisenmanagements ist Österreich auch verpflichtet, andere Staaten bei der Vorbereitung und Durchführung von Friedensoperationen zu unterstützen. (…) Im Fall Österreichs gehen die Verpflichtungen als Mitglied der UNO, der EU und der NATO-Partnerschaft für den Frieden gegenüber den Neutralitätsverpflichtungen vor. (Hauser, Sicherheitspolitik. In: Truppendienst. Online auf: http://www. bundesheer.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=317, 9. 4. 2018) Für die Journalistin Anneliese Rohrer bedeutet eine Teilnahme Österreichs an einem europäischen Verteidigungssystems das Ende der Neutralität: Die Streichung der Neutralität aus der Bundesverfassung würde eine Gesamtänderung derselben bedeuten, und eine solche ist zwingend einer Volksabstimmung zu unterziehen. Nun signalisieren aber alle Umfragen eine satte Mehrheit für Beibehaltung der Neutralität. Deshalb passen sich Parteien und Regierungen der Befindlichkeit der Wähler an: (…) Sie wollen die Realität (…) nicht zur Kenntnis nehmen. Sie wollen sich weiter in den Sack lügen (…). Sie wollen nicht zugeben, dass Solidarität in Europa im Ernstfall mit Neutralität nicht vereinbar ist. Oder wie der Chef des Generalstabs, Othmar Commenda, jüngst im Fernsehen festgehalten hat: „Für das Heer ist die Neutralität irrelevant.“ Wenn nicht für das Heer, für wen dann? Seit 40 Jahren drücken sich Politiker und Bürger vor einer ehrlichen Neubewertung eines ehemals sinnstiftenden Gesetzes. Offenbar weiß niemand, wie wir die Neutralität im Ernstfall handhaben würden. (…) (Rohrer, Frage des Tages, 26. 10. 2015. Online auf: http://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/4851855/Frage-des-Tages_Hat-unsere-Neutralitaet-ausgedient, 9. 4. 2018) M4 6. Neutralität und Neutralitätspolitik 24 Kompetenztraining Historische Sachkompetenz Fachliche Begriffe/Konzepte des Historischen auf Fallbeispiele kritisch anwenden und adaptieren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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