Den Anfang macht die ÖVP (1966–1970) Während in einigen westlichen Demokratien, wie z. B. in Großbritannien, Alleinregierungen bis heute eine lange Tradition haben, mussten sich in Österreich die beiden Großparteien erst an diese Form des Regierens gewöhnen. Die erste Alleinregierung bildete die ÖVP unter Bundeskanzler Klaus. Ihr gehörte mit Grete Rehor erstmals eine Frau als Ministerin (für Soziale Verwaltung) an. Die wichtigsten Reformen dieser Regierung waren: –– die Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 19 Jahre; ––ein neues Rundfunkgesetz, das den Einfluss der beiden (Groß-)Parteien auf den ORF verringern sollte; –– die stufenweise Einführung der 40-Stunden-Woche. Ein außenpolitischer Erfolg war die mit Italien erzielte Einigung in der Frage der Südtiroler Autonomie (1969). Als im August 1968 Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, wurde dies im Parlament einstimmig verurteilt. Das bewies, dass in staatspolitisch wichtigen Fragen Regierung und Opposition durchaus eine gemeinsame Haltung einnehmen konnten. Dieses Ereignis schwächte die moskautreue KPÖ weiter, die seit 1959 nicht mehr im Nationalrat vertreten war: Viele Mitglieder verließen die Partei; Funktionärinnen und Funktionäre, die den Einmarsch verurteilten, wurden aus der Partei ausgeschlossen. SPÖ – die Klassenpartei wird „Volkspartei“ Ein Jahr nach der Wahlniederlage von 1966 wurde Bruno Kreisky neuer Parteiobmann der SPÖ. Er wollte die Partei moderner und offener ausrichten: Q So vertrat ich etwa die Auffassung, dass der Gebrauch des Wortes „Arbeiterklasse“ nicht mehr zeitgemäß sei. (…) Betrug der Anteil der Arbeiter unter den Lohnabhängigen zunächst weit mehr als die Hälfte, so hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. (…) Wollte die sozialistische Partei in Österreich neue Wählerschichten erschließen, musste dieser Entwicklung Rechnung getragen werden. (…) Die Partei musste sich öffnen, freilich nicht nur in Richtung auf die Angestellten. Es galt, auch anderen gesellschaftlichen Gruppen verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden, vor allem den Bauern. (Kreisky, Im Strom der Politik, 1988, S. 400 f., 405 f.) Auch die Gegnerschaft Kirche und SPÖ war beendet worden: Schon 1945 hatte die Bischofskonferenz erklärt, sich nicht mehr – wie in der Ersten Republik – an eine politische Partei zu binden. Im Sozialhirtenbrief des Jahres 1956 würdigten die Bischöfe sogar die Leistungen der gemäßigten Sozialisten für eine gerechtere Gesellschaftsordnung. Umgekehrt las man im SPÖ-Programm von 1958: „Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig auch Sozialist sein.“ Eine solche Aussage wäre in der Ersten Republik unvorstellbar gewesen. Diese breite Öffnung der Partei kam der SPÖ bei den Wahlen 1970 ebenso zugute wie ein „Wahlzuckerl“ für männliche Jungwähler: die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate plus 60 Tage Waffenübungen. Die Minderheitsregierung Kreisky – bis heute ein Einzelfall (1970/71) Die Wahlen von 1970 bedeuteten für die ÖVP nach 25 Jahren das Ende der Kanzlerschaft. Nur mit einer relativen Mehrheit ausgestattet bildete Bruno Kreisky mit Duldung der FPÖ die erste und bisher einzige Minderheitsregierung seit Bestehen der Republik Österreich. Für diese Unterstützung bekam die kleine Oppositionspartei FPÖ eine Wahlrechtsreform: Die Anzahl der Abgeordneten wurde von 165 auf 183 erhöht, wodurch auch kleinere Parteien leichter in den Nationalrat einziehen bzw. mehr Mandate erreichen konnten. Da aber ein Minderheitskabinett nur beschränkt handlungsfähig ist, drängte Kanzler Kreisky auf „klare Verhältnisse“ durch Neuwahlen im Jahre 1971. 3. Alleinregierungen und die Ära Kreisky Pressekonferenz mit PLO-Chef Jassir Arafat (2. v. l.), Bundeskanzler Bruno Kreisky (Mitte) und dem Präsidenten der Sozialistischen Internationale Willy Brandt in Wien. Foto, 1979. 18 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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