tralitätsgesetz nicht vereinbar. Aus den Resten des VdU entstand im Jahr 1956 die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Sie bekannte sich zwar auch zur „deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft“, aber ebenso uneingeschränkt zur „Eigenstaatlichkeit Österreichs“. Große Koalition und Sozialpartnerschaft Kanzler Figl (ÖVP) und Vizekanzler Schärf (SPÖ) führten die 1947 begonnene Große Koalition weiter fort. Trotz der Währungsreform bildete die Inflation nach wie vor ein Problem. Dazu stiegen die Lebenshaltungskosten deutlich stärker als die Löhne. Dies führte zu einer noch stärkeren Bindung zwischen ÖVP und SPÖ: Ab 1947 kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Bundeswirtschaftskammer (BWK). Diese vereinbarten ein „1. Preis- und Lohn-Abkommen“ zur Stabilisierung der Wirtschaft. Sie begründeten damit die bis heute bestehende Sozialpartnerschaft (S. 42 f.). Der drohende Generalstreik – ein Putschversuch? Ende September 1950 war zur Inflationsbekämpfung bereits das „4. Preis- und Lohn-Abkommen“ beschlossen worden. Es belastete neuerlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Über 100 000 Menschen nahmen daher an Streiks und Demonstrationen teil, in Ostösterreich gab es auch Straßen- und Eisenbahnblockaden. Den Aufruf der Kommunisten zum Generalstreik am 4. Oktober 1950 erklärten Regierung und ÖGB-Führung als Versuch, „die Demokratie zu stürzen“. Polizei und gewerkschaftliche Gegengruppen räumten die von kommunistischen Streikkommandos errichteten Barrikaden sowie die besetzten Elektrizitätswerke und Bahnhöfe. Bereits nach zwei Tagen brach der Streik zusammen. Auch die sowjetische Besatzungsmacht unterstützte die kommunistische Streikbewegung nur teilweise, da auch die sowjetisch verwalteten Betriebe durch die Protestmaßnahmen wirtschaftlich geschädigt wurden. 1994 urteilte der Historiker Ernst Hanisch über dieses Ereignis: L Sie [die KPÖ] sah die Chance, über Massenunruhen wieder ins politische Spiel zu kommen, verlorene Positionen in der Gewerkschaft und in der Regierung zurückzuerobern. Genau das aber war auch die Chance von Regierung und Gewerkschaft. Sie antworteten auf die KPÖ-Agitation mit der Parole: Die Kommunisten planen einen Putsch; sie wollen in Österreich eine Volksdemokratie einführen. (…) Der Putschvorwurf war nicht nur eine geschickte Gegenpropaganda; die dahinter stehenden Ängste waren sehr real – lag doch der kommunistische Putsch in Prag erst zwei Jahre zurück. (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 445) Der Historiker Oliver Rathkolb meinte dazu im Jahr 2011: L Alle vorhandenen Quellen und die (…) wissenschaftlichen Analysen schließen eine derartige Planrichtung [= einen Putschversuch] als unrealistisch aus, doch der „Putschversuch“ von 1950 bleibt ein Mythos, der aus (…) der Nachkriegsgeneration nicht wegzudenken ist. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 26) Das österreichische „Wirtschaftswunder“ Die ÖVP verfolgte zu Beginn der 1950er Jahre, ähnlich wie in der Ersten Republik, eine strenge staatliche Sparpolitik. Die Folge waren geringe Produktionsziffern und Tausende Arbeitslose (Höchstwert im Februar 1954: 308000 Menschen). Doch ab 1953 begann der Wirtschaftsaufschwung, beeinflusst auch von einer weltweiten Konjunkturbelebung. Jetzt konnte auch die Lebensmittelrationierung endgültig aufgehoben werden. Es folgte ein riesiges Investitionsprogramm: Die Wasserkraft wurde ausgebaut (z. B. das Speicherkraftwerk Kaprun), die Eisenbahn auf den wichtigsten Strecken elektrifiziert, der Autobahnbau (Salzburg – Wien) vorangetrieben und die Verstaatlichte Industrie modernisiert. Zehn Jahre nach Kriegsende konnte die Regierungskoalition eine sehr positive Bilanz vorweisen: Die Wirtschaft hatte sich erholt, innenpolitisch herrschte Frieden, hinzu kam noch der lang ersehnte Staatsvertrag. Krise und Ende der Großen Koalition Am Beginn der 1960er Jahre leistete die Große Koalition noch gute Arbeit. Die Arbeitslosigkeit sank erstmals unter 100000. Es wurde in jedem österreichischen Bezirk eine höhere Schule errichtet. Die Koalitionsregierung konnte mit ihrer breiten parlamentarischen Mehrheit auch große staats- und wirtschaftspolitische Aufgaben lösen. Dennoch zeichnete sich ihr Ende immer deutlicher ab. Mitte der 1960er Jahre waren die Politiker der unmittelbaren Nachkriegszeit gestorben (Raab, Figl, Schärf). Die nächste Politikergeneration war in ihrer Haltung zur Koalition schon sehr gespalten. Die Wahlen im Jahr 1966 brachten der ÖVP die absolute Mehrheit. Sie stellte nun die erste Alleinregierung der Zweiten Republik. Die SPÖ ging in die Opposition. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Analysiere und bewerte die unterschiedlichen Interessen von KPÖ, Gewerkschaft und Regierung im Zusammenhang mit den Ereignissen im Oktober 1950. 2. Fasse die wesentlichen Artikel des Staatsvertrages zusammen. Arbeite den rechtlichen Unterschied zwischen Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz heraus. 3. Erläutere den Zweck der Neutralität. Interpretiere den Passus „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln“. 4. Diskutiert in der Klasse: „Österreichische Neutralität heute – pro und kontra“. 5. Formuliere Argumente für und gegen die allgemeine Wehrpflicht bzw. für ein Berufsheer sowie für und gegen den Wehrersatzdienst („Zivildienst“). Österreich II – die Zweite Republik 17 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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