Zeitbilder 8, Schülerbuch

Sexismus – noch immer ein Problem im Alltag Als „Sexismus“ bezeichnet man Einstellungen und Verhaltensweisen, die entweder eine Abwertung einer Person aufgrund ihres Geschlechts widerspiegeln oder das ungleiche Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft aufrechterhalten. Im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland wurde sichtbar, dass in unserer Gesellschaft Geschlechterstereotype nach wie vor verbreitet sind und dass klischeehafte Vorstellungen darüber, was als „typisch männlich“ bzw. als „typisch weiblich“ gilt, teilweise mit großer Heftigkeit und Aggressivität verteidigt werden. Fußball und Geschlechterstereotype Während der Fußball-WM 2018 kommentierte die deutsche Reporterin Claudia Neumann für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mehrere Spiele der Weltmeisterschaft in Russland. Vor allem in den Sozialen Medien entbrannte ein „Shitstorm“, und Claudia Neumann wurde auf vielfache Weise angefeindet, beschimpft und als „inkompetent“, „schrill“ etc. diffamiert. Um ein Zeichen gegen diese Art sexistischer Hetze zu setzen, zeigte das ZDF zwei User, die besonders extreme Hasspostings verfasst hatten, an. Claudia Neumann nahm in einem Interview in der Hamburger Wochenzeitschrift „Die ZEIT“ zu den Angriffen auf sie in folgender Weise Stellung: ZEIT: Sie glauben, der Fußball ist aufgrund seiner Aufmerksamkeit der perfekte Beschleuniger für gesellschaftliche Veränderungen? Neumann: Ja, absolut. (…) Es geht bei der Kritik ja nicht um mich als Person, sondern darum, dass sich Frauen erdreisten, in exponierten Positionen im Fußball aufzutauchen. Die Hetzer kennen mich ja nicht. Ich lese so etwas übrigens auch nicht gerne über andere Menschen. Ich finde das einfach grauenvoll. Diese Art von Kommunikation und falschem Demokratieverständnis, die sich durch die sozialen Medien frisst, ist grauenvoll. Man kann den Menschen nur immer wieder zurufen: Geht länger zur Schule. Bildet euch weiter, erweitert euren Bewusstseinshorizont, dann lernt man auch andere Haltungen zu tolerieren. Ohne da irgendjemandem zu nahe treten zu wollen: Aber das ist einfach nicht meine Welt. Und auch kein Claudia Neumann-Problem, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. (Die ZEIT, 4. 7. 2018; ZEIT-Online, 5. 7. 2018. Online auf: https://www. zeit.de/2018/ 28/claudia-neumann-fussball-wm-2018-kommentatorin-beleidigungen/komplettansicht, 17. 9. 2018) Die österreichische Fernsehmoderatorin für Sport, Alina Zellhofer, meinte in einem Interview zu den sexistischen Angriffen auf die Fußballreporterin Claudia Neumann: Standard: Hat sich die Situation durch die sozialen Medien verschärft? Zellhofer: Früher hätte man seinen Unmut beim Bäcker oder im Gasthaus geäußert. Heute ist man in den sozialen Netzwerken ausgeliefert. Okay, wir stehen in der Öffentlichkeit, man muss sich ein dickes Fell zulegen. Man kann es nicht allen recht machen, das muss man besser gleich einsehen. Standard: Werden Frauen kritischer beurteilt? Zellhofer: Ich glaube, dass die Messlatte bei Frauen anders angelegt wird. Als ich begonnen habe, war das zu spüren. Man wird mit Argusaugen beobachtet. Fehler werden härter beurteilt. Da sagt man nicht, kann passieren. Es heißt: Eh klar, die kennt sich nicht aus. Es herrscht permanentes Misstrauen. Probiert sich eine Frau auf diesem Feld, wird das wesentlich kritischer beäugt. (derStandard.at, 21 .7. 2018. Online auf: https://derstandard.at/ 2000083836251/Sportmoderatorin-Zellhofer-Man-wird-mit-Argusaugen-beobachtet, 17. 9. 2018) Auch die freie Journalistin Jana Klein äußerte sich aus Anlass des „Shitstorms“ gegen Claudia Neumann: Doch was sind das eigentlich für Leute, die ihn (den „Shitstorm“; d. A.) initiieren? Wer ist für Posts wie „Neumann sollte lieber beim ZDF den Flur wischen“ bis hin zu Vergewaltigungsandrohungen verantwortlich? Laut einer aktuellen Studie beurteilen immerhin über zwei Drittel der Menschen im Land weibliche Kommentatorinnen bei Fußballspielen als positiv, nur 12,4 Prozent negativ, davon ganze fünf Prozent „sehr negativ“. Wir haben es also mit einer krassen Minderheit zu tun, die es jedoch vermag, wesentlich größer zu erscheinen, als sie ist. (derFreitag.de, 28/2018. Online auf: https://www.freitag.de/autoren/ der-freitag/die-nation-ist-ein-kerl, 17. 9. 2018). Politik und Geschlechterstereotype Ein Teil der polemischen Angriffe gegen Neumann bezog sich auf die Stimme der Kommentatorin, die von vielen als „schrill“, „ätzend“ oder „nervig“ bezeichnet wurde. Mit einem solchen Verweis auf eine „unpassende“ Stimme sehen sich viele Frauen im öffentlichen Leben konfrontiert – z. B. auch führende Politikerinnen wie Margaret Thatcher oder Hillary Clinton. Der Stimmforscher und Professor an der Universität Leipzig, Michael Fuchs, äußerte sich in einem Spiegel Online-Interview dazu: Generell bringen wir einer tieferen Stimme mehr Vertrauen entgegen. Deshalb haben Nachrichtensprecherinnen und Talkmoderatorinnen eher eine tiefe Tonlage. (…) Eine tiefe Stimme bringt Frauen in männerdominierten Branchen einen Bewertungsvorteil. Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher (1979–1990; d. A.) hatte beispielsweise eigentlich eine eher hohe und schrille Stimme. Sie hat sie absichtlich abgesenkt, wahrscheinlich, um ernst genommen zu werden. (…) 146 Politische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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