Zeitbilder 8, Schülerbuch

… im Protestantismus Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den USA Ziele des ursprünglichen Fundamentalismus von Teilen der evangelikalen Bewegung (= Nachfolge der Wanderprediger aus der Pionierzeit) übernommen. Erklärtes Ziel war die Rechristianisierung Amerikas u.a. mit Bibellektüre, Schulgebet und militantem Abtreibungsverbot. Bekannte fundamentalistische amerikanische Fernsehprediger werden als „Televangelists“ (z.B. Billy Graham, gest. 2018; Oral Roberts, gest. 2009) bezeichnet. Sie sprechen über die elektronischen Medien („Elektronikkirchen“) die Massen an. … im Islam Die Verwirklichung eines islamischen Staates und die Bekämpfung zunehmender „Verwestlichung“ gehören zu den Hauptzielen islamisch fundamentalistischer Bewegungen. Zu ihren bedeutendsten Gruppen zählten lange Zeit die „Muslimbrüder“ (gegründet 1928 in Ägypten). Sie sahen in der Religion das Modell für alle sozialen und politischen Handlungen und den Koran sowie das von ihm ausgehende göttliche Recht, die Scharia, als einzige Richtlinie. Von der islamischen Revolution im Iran (1979) ausgehend, erlangten diese Ideen in der übrigen islamischen Welt – von Ostasien über Nordafrika bis Europa – zunehmend an Bedeutung. Bassam Tibi, Universitätsprofessor und Verfasser zahlreicher Publikationen zum Islam in Europa, meinte dazu: L Islamische Fundamentalisten sollen nicht automatisch mit der Religion des Islam assoziiert werden, wie es die westlichen Medien gewöhnlich zu tun pflegen. Der Islam ist eine vierzehn Jahrhunderte alte Zivilisation, wohingegen die Fundamentalisten einen neuen Trend im Islam darstellen. (Tibi, Krieg der Zivilisationen, 2001, S. 225) Gegenwärtig beschäftigen sich Medien, Politik und Wissenschaft häufig mit dem so genannten „Islamismus“: L Beim Islamismus handelt es sich um Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden. Der Begriff „Bestrebungen“ wurde gewählt, weil unter ihn verschiedenste Aktivitäten gefasst werden können, angefangen von missionarischer oder erzieherischer Tätigkeit über das Engagement in politischen Parteien bis hin zu revolutionären Plänen. (Seidensticker, Islamismus, 2016, S. 9) L Es gibt innerhalb des Islamismus den theologischen Diskurs darüber, ob die Anwendung von Gewalt eine religöse Pflicht sei oder nicht. Diejenigen, die diese Frage mit „Ja“ beantworten, sind Dschihadisten. (Nouripour, Was tun gegen Dschihadisten?, 2017, S. 38) Zu den besonders gewaltbereiten Dschihadistengruppen zählen etwa die Terrorgruppen Al-Qaida, „Islamischer Staat“ (IS) und Boko Haram. Necla Kelek, Universitätsprofessorin für Soziologie, hält eine Unterscheidung von Islam und Islamismus generell für schwierig. Sie wies darauf in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 2010 in Frankfurt hin: L Der politische Islam – und ich meine damit z. B. die Konferenz der 45 Staaten der islamischen Konferenz – stellt die Menschenrechte unter den Vorbehalt der Scharia, ihres göttlichen Rechts. (…) Es ist deshalb schwer, Islam und Islamismus voneinander zu trennen. (Kelek, Lassen Sie uns über Freiheit sprechen, 2010) Fundamentalismus als Herausforderung: Wertediskussion und Dialogbereitschaft Fachleute meinen, dass der Umgang mit dem Fundamentalismus dazu zwingt, sich mit eigenen Wertorientierungen zu beschäftigen. Jedes Gemeinwesen – von der Familie bis zum Staat – brauche eine Mindestübereinstimmung an Werten, denen sich die Mitglieder verpflichtet fühlen. Eine solche Mindestübereinkunft an Grundwerten mache es überhaupt erst möglich, unterschiedliche pluralistische Wertvorstellungen zu leben. Die Politik habe den Freiraum dafür zu sichern, damit unterschiedliche religiöse oder weltanschauliche Orientierungen gelebt werden können. Dazu seien kritische Toleranz und ein interkultureller Dialog nötig. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die Informationen zum Fundamentalismus in den drei dargestellten Religionen zusammen. Nimm mit Hilfe der Literaturstellen kritisch dazu Stellung. 2. Entwickle Vorschläge dafür, wie man einen Dialog mit Menschen führen kann, die von ihrer „Wahrheit“ absolut überzeugt sind. Demonstration in Nairobi für die Freilassung von im Norden Nigerias durch die Terrorgruppe Boko Haram entführten Schülerinnen. Foto, Mai 2014. Emanzipatorische Bewegungen und Gegenströmungen nach 1945 139 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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