tisch motivierte Todesopfer der Zweiten Republik. Die Ereignisse im Jahr 1968 gestalteten sich dann in einer „heißen Viertelstunde“ aktionistisch: L Der Wiener Aktionismus hat die Öffentlichkeit tief verstört. Die Veranstaltung „Kunst und Revolution“ am 7. Juni 1968 im Neuen Institutsgebäude der Wiener Universität beleidigte die österreichischen politischen Symbole, verletzte alle Standards der zivilisierten Gesellschaft. In den theoretischen Texten tobte sich der Anarchismus als Zerstörungswut gegen alle Strukturen – Staat, Religion, Kunst – aus. „Österreicher, schmeißt die Würdenträger über die Rampen. (…) Weg mit dem Wahnsinn des Alltags! Schluss mit der Wirklichkeit.“ (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 482) Einige (langfristige) Folgen Zumindest indirekt können einige wesentliche Veränderungen in Schule und Gesellschaft auf die 1968er Bewegung zurückgeführt werden, zum Beispiel: die Koedukation ab 1974 in allen öffentlichen Schulen; das Zivildienstgesetz (1974); das Schulunterrichtsgesetz von 1974 mit erstmaligen Mitbestimmungsrechten für Eltern- und Schülervertreter; die „Fristenlösung“ (Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate) seit 1.1.1975. Einschätzungen – 50 Jahre danach L Ich plädiere dafür, dass man die Sechziger- und die Siebzigerjahre als eine Lebensstilrevolution ansieht und dass man die Studentenbewegung nur als einen kleinen Teil davon betrachtet. Die alten Autoritäten verlieren an Bedeutung, die Parteien, Gewerkschaften, Kirchen. Die jungen Menschen bauen ihre Identitäten nun auch aus anderen Quellen zusammen, dazu zählt der Massenkonsum, aber auch Musik, insbesondere Popmusik (…). (…) Wir überhöhen 68, weil die Bilder der Revolte eine so ungeheure Strahlkraft entwickelt haben. Dabei blicken wir immer nur auf die Studenten, nur auf die Städte wie Frankfurt am Main oder Berlin, nur auf die Männer und bei Männern nur auf Rudi Dutschke und einige andere. Dabei handelte es sich um eine radikalisierte Minderheit aus ein paar Tausend Aktivisten, die den Sozialismus wollte und dabei scheiterte. („Da hatte sich viel aufgestaut“. Die Historikerin Christina von Hodenberg im Interview. In: Spiegel Geschichte 4, 2016, S. 135 f.) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite die Gemeinsamkeiten und Ziele der 1968er-Proteste heraus. Bewerte sie hinsichtlich ihrer historischen Bedeutsamkeit. 2. Arbeite anhand der Literaturstellen mögliche unterschiedliche Sichtweisen gegenüber der 1968er-Bewegung heraus. Nenne mögliche Gründe für diesen Perspektivenwandel. Ab Herbst 1968 begann die Zersplitterung der APO. Die Frauen kritisierten die Unterdrückung durch ihre männlichen Kollegen und zogen aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aus. Der größte Teil der protestierenden Studierenden-Bewegung wandte sich in der Folge der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) unter dem damaligen Kanzler Willy Brandt zu. Die RAF und der Terror Einige wenige der protestierenden Studierenden gingen als Terroristinnen und Terroristen in den Untergrund. Die RAF (Rote Armee Fraktion, zunächst mit Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe) wurde gegründet. Ihr Ziel war es, die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu zerstören. Sie wurde als „imperialistisches System“ abgelehnt. Mitglieder der RAF führten in den nächsten Jahren immer wieder Attentate und Überfälle durch. Im Jahr 1972 wurde fast die gesamte Führung der RAF verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt. Noch gewaltsamere Terroranschläge verübte die „Zweite Generation“, z. B. im Jahr 1977 die Ermordung des Generalbundesanwaltes Buback, des Bankiers Ponto und des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, aus Sicht der RAF „Vertreter des Systems“, das sie stürzen wollten. Erst im Jahr 1993 galt die RAF als zerschlagen. Und in Österreich? – „Schluss mit der Wirklichkeit“ Im Vergleich zu Deutschland, Italien und Frankreich war die Situation in Österreich kaum revolutionär gestimmt. Aber es ging auch hier um die Frage: „Wie lange kann die Zweite Republik mit einer unbewältigten Vergangenheit leben?“ (Paul Lendvai) Anlässlich einer Demonstration von Studierenden im Jahr 1965 gegen den Hochschulprofessor Borodajkewycz wegen dessen nationalsozialistischer und antisemitischer Äußerungen gab es ein Todesopfer: Ernst Kirchweger, ein ehemaliger Widerstandskämpfer, wurde von einem rechtsextremen Studenten niedergeschlagen und dabei tödlich verletzt. Er war das erste innenpoli- Studentenunruhen 1968: Demonstration der Außerparlamentarischen Opposition gegen das Attentat auf Rudi Dutschke, Berlin Schöneberg, 12. 4. 1968. Foto, 1968. Emanzipatorische Bewegungen und Gegenströmungen nach 1945 133 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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