Zeitbilder 8, Schülerbuch

In den westlichen Bundesländern war die Ernährungssituation etwas besser, dort mussten jedoch hunderttausende Flüchtlinge versorgt werden. Hilfsprogramme der Besatzungsmächte (sowjetische Nahrungsmittelspende zum 1. Mai 1945, CARE-Pakete aus den USA) und europäischer Staaten sowie Sachlieferungen der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) linderten die ärgste Not. Schwarzmarkt und Währungsreform Der allgemeine Versorgungsmangel führte zur Entstehung eines Schwarzmarkts. Lieferanten der Schwarzhändler waren häufig alliierte Soldaten, die Lebensmittel, Nylonstrümpfe oder Zigaretten für viel Geld verkauften oder gegen Wertgegenstände wie Uhren oder Fotoapparate eintauschten. Die Regierung reagierte auf den Schwarzmarkt und die sich immer schneller drehende Lohn-Preis-Spirale 1947 mit einer Währungsreform: Pro Kopf der Bevölkerung wurden 150 alte Schillinge im Verhältnis 1:1 in neue umgetauscht, der Rest des Bargeldes wurde um zwei Drittel entwertet, d. h., für drei alte Schillinge bekam man einen neuen. Dies bewirkte eine Verringerung des Geldumlaufs um rund 60 Prozent. Diese Maßnahmen stellten vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen eine große Härte dar. Die KPÖ reagierte darauf mit dem Rücktritt ihres Ministers und ging in die Opposition. Nun gab es erstmals eine Große Koalition von ÖVP und SPÖ (bis 1966). Wirtschaftlicher Neubeginn Landwirtschaft und Industrie waren schwer beschädigt. Viele Betriebe wiesen große Kriegsschäden auf. Die sowjetische Besatzungsmacht demontierte viele Produktionseinrichtungen. Außerdem beschlagnahmten die Sowjets jene Betriebe in ihrer Zone, die ehemals deutsches Eigentum gewesen waren. Insgesamt waren es 252 Industriebetriebe und 140 landwirtschaftliche Betriebe, darunter die gesamte Erdölindustrie und die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Um weiteren Enteignungen durch die Besatzungsmächte zuvorzukommen, beschloss das österreichische Parlament 1946 und 1947 zwei Verstaatlichungsgesetze: Durch sie wurden die damaligen Großbanken, der Kohlebergbau, die Eisen-, Metall- und Erdölindustrie sowie die Elektrizitätswirtschaft verstaatlicht. Von entscheidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau wurde schließlich von 1948 bis 1951 die Einbeziehung Österreichs in den Marshallplan (ERP = European Recovery Program). Österreich erhielt dabei nach Norwegen die zweithöchste Pro-Kopf-Unterstützung (insgesamt knapp 1 Milliarde Dollar). Mit Hilfe von Mitteln aus dem US-Hilfsprogramm wurden z. B. Wasserkraftwerke, Straßen und Brücken gebaut. Mit dem Marshallplan schufen sich die USA nicht nur neue Märkte, er sollte auch dafür sorgen, dass der sowjetische Einfluss auf Mittel- und Osteuropa eingeschränkt bleibt. Die „Entnazifizierung“ in Österreich L Österreicher waren prominent und in großer Zahl an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt und trugen entscheidend zur Durchführung des Massenmordes an den Juden bei. Neben Adolf Hitler und Adolf Eichmann, dem in Linz aufgewachsenen Organisator der „Endlösung“, waren mit Ernst Kaltenbrunner, seit 1943 (…) zweiter Mann hinter Heinrich Himmler, oder mit Odilo Globocnik, (…) dem die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor und Belzec unterstanden, weitere Österreicher Hauptverantwortliche der „Endlösung“. (…) Laut Simon Wiesenthal [der viele Nazi-Verbrecher in der Nachkriegszeit aufspürte; Anm. d. A.] stammten 40 Prozent des Personals und drei Viertel der Kommandanten der Vernichtungslager aus Österreich. (…) Auffallend viele Österreicher waren als Mitglieder der „SS Einsatzgruppen“ an Massenerschießungen von Juden und nichtjüdischen Zivilisten im Rückraum der Ostfront beteiligt (…). (Albrich u. a. (Hg.), Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht. Der Fall Österreich, 2006, S. 7) Sofort nach der militärischen Befreiung Österreichs begannen die Alliierten mit der „Entnazifizierung“. Schon am Tag der Kapitulation wurden die NSDAP, alle ihre Wehrverbände (wie z. B. SA, SS) und andere Organisationen verboten (= „Verbotsgesetz“). Wenig später folgte ein „Kriegsverbrechergesetz“: Alle ehemaligen Nationalsozialisten (Parteimitglieder und Angehörige der Wehrverbände) mussten sich registrieren lassen und waren bei den Nationalratswahlen 1945 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Je nach ihrer Einstufung als Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrecher, als „belastete“ und „minderbelastete“ Nationalsozialisten hatten sie mit weiteren „Sühnefolgen“ zu rechnen: mit Geldstrafen, zeitweiligem Berufsverbot oder fristloser Entlassung vom Arbeitsplatz; in ca. 26 000 Fällen auch mit Verhaftung oder Internierung in einem Anhaltelager. Ab 1946 wurde die „Entnazifizierung“ nur noch von der österreichischen Regierung durchgeführt. So genannte Volksgerichte sprachen bis zum Jahr 1955 13 600 Verurteilungen (darunter 43 Todesurteile und 34 lebenslängliche Haftstrafen) aus. Doch geriet die „Entnazifizierung“ bald zu einer bürokratischen Formalität. 1947 erhielten die „Minderbelasteten“ wieder das aktive Wahlrecht und 1948 beschloss der Nationalrat die „Minderbelastetenamnestie“, durch die ca. 500 000 Personen begnadigt wurden. L Ab 1947/48 verstärkte sich der Trend, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, merklich. Selbst (…) bei den Volksgerichten stieg 1948 die Zahl der Freisprüche auf 52 Prozent (…). (…) Die beiden großen politischen Kräfte versuchten (…) die Stimmen der „Ehemaligen“ zu gewinnen, auch um den Preis des Verzichts der Entnazifizierung. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 307) 12 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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