Zeitbilder 8, Schülerbuch

Zeitbilder 8 Scheucher Staudinger Scheipl Ebenhoch Zeitbilder

Zeitbilder 8, Schülerbuch Schulbuchnummer: 195149 Zeitbilder 8, Schülerbuch und E-Book Schulbuchnummer: 195906 Mit Bescheid des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 24. Juni 2019, GZ BMBWF-5.018/0086-Präs/14/2018, gemäß § 14 Absatz 2 und 5 des Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 472/86, und gemäß dem Lehrplan 2017 als für den Unterrichtsgebrauch an allgemein bildenden höheren Schulen für die 8. Klasse im Unterrichtsgegenstand Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung geeignet erklärt. Dieses Werk wurde auf der Grundlage eines zielorientierten Lehrplans verfasst. Konkretisierung, Gewichtung und Umsetzung der Inhalte erfolgen durch die Lehrerinnen und Lehrer. Liebe Schülerin, lieber Schüler, Sie bekommen dieses Schulbuch von der Republik Österreich für Ihre Ausbildung. Bücher helfen nicht nur beim Lernen, sondern sind auch Freunde fürs Leben. Kopierverbot Wir weisen darauf hin, dass das Kopieren zum Schulgebrauch aus diesem Buch verboten ist – § 42 Abs. 6 Urheberrechtsgesetz: „Die Befugnis zur Vervielfältigung zum eigenen Schulgebrauch gilt nicht für Werke, die ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt sind.“ Umschlagbild: akg-images / Africa Media Online 1. Auflage (Druck 0005) © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2020 www.oebv.at Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, gesetzlich verboten. Bildrechte: © Bildrecht GmbH, Wien 2020 Redaktion: Mag. Gudrun Magele, Maria Rojach; Mag. Brigitte Messner, Wien; Mag. Elisabeth Puntigam-Gröller, Wien Herstellung: MMag. Andrea Maria Fellner, Wien Layout: Jens-Peter Becker, normaldesign GbR, Schwäbisch Gmünd Satz: Da-Tex Gerd Blumenstein, Leipzig Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., Horn ISBN 978-3-209-08849-9 (Zeitbilder OS SB 8) ISBN 978-3-209-11326-9 (Zeitbilder OS SB + E-Book 8) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Alois Scheucher Eduard Staudinger Josef Scheipl Ulrike Ebenhoch Zeitbilder OS SB 8 Geschichte und Sozialkunde Politische Bildung Vom Beginn der Zweiten Republik bis in die Gegenwart www.oebv.at Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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Wie arbeite ich mit diesem Buch? Am Anfang des Schulbuchs findest du Informationen zur Kompetenzorientierung in den Zeitbilder-Bänden. Da die Aufgabenstellungen mit Operatoren formuliert wurden, werden die wichtigsten Operatoren in einer Übersicht präsentiert. Die Zeitbilder-Autorinnen und -Autoren haben sich bezüglich der Bedeutung der Operatoren am Leitfaden des BM:UKK orientiert (vgl.: Die kompetenzorientierte Reifeprüfung aus Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung. Richtlinien und Beispiele für Themenpool und Prüfungsaufgaben, 2010/2011, S. 14– 18). Alle fünf Großkapitel starten mit Auftaktdoppelseiten. Großformatige Bilder, übersichtliche Zeitleisten sowie Einleitungstexte helfen dir beim Einstieg in das Kapitel. Sie wollen deine Neugier und dein Interesse wecken. Die Kompetenzboxen zeigen auf, welche Teilkompetenzen du mit Hilfe der Kompetenztrainingskapitel besonders intensiv entwickelst und trainierst. Gibt es im Großkapitel Hinweise zu fachspezifischen Methoden und Arbeitstechniken, so werden sie ebenfalls in den Kompetenzboxen genannt. Der Online-Code verweist auf Zeitbilder-Online. Über die Internetseite www.oebv.at findest du Links und vielfältige Materialien zu Themen, die dich vielleicht interessieren könnten, sowie zahlreiche Karten aus dem Schülerband. Jedes Großkapitel umfasst mehrere Einzelthemen. Sie werden in überschaubaren Kapiteln angeboten. Der Darstellungstext ist übersichtlich strukturiert (im Allgemeinen zwei oder vier Seiten). Vielfältige Materialien (Textquellen, Bilder, Karten, Illustrationen) helfen bei der inhaltlichen Auseinandersetzung. Fragen und Arbeitsaufträge regen dich an, die jeweiligen Themen selbstständig zu bearbeiten. In den Kompetenztrainingskapiteln zum Bereich Historische Kompetenzen entwickelst und trainierst du mit Hilfe von verschiedenen Materialien, z. B. Texten, Abbildungen oder Fotografien, die in diesem Schuljahr besonders wichtigen Historischen Teilkompetenzen. In einigen dieser Kapitel vertiefst du deine Kenntnis fachspezifischer Methoden und Arbeitstechniken, z.B. das Analysieren und Interpretieren von Texten, Karikaturen und Schaubildern. In den Kompetenztrainingskapiteln zum Bereich Politische Kompetenzen entwickelst und trainierst du mit Hilfe von verschiedenen Materialien, z. B. Texten, Abbildungen oder Fotografien, die in diesem Schuljahr besonders wichtigen Politischen Teilkompetenzen. In einigen dieser Kapitel findest du auch Informationen zu Methoden und Arbeitstechniken und lernst z. B. die Qualität von Internetquellen einzuschätzen. Du findest auch noch zusätzliche Kapitel zur Politischen Bildung, mit deren Hilfe du dein Sachwissen und deine Politischen Kompetenzen weiterentwickeln kannst. Das Basiswissen fasst am Ende jedes Großkapitels die wichtigsten Inhalte zusammen. Grundbegriffe erleichtern das Erlernen von Fachvokabular zu Geschichte und Politik. Ein Längsschnitt behandelt die Konfliktregion Naher und Mittlerer Osten im 20. und 21. Jahrhundert. Der Modul-Check ermöglicht es dir, rasch festzustellen, welche Teilkompetenzen du im Laufe des Jahres/Semesters besonders intensiv trainiert hast und wo du die entsprechenden Kompetenztrainingskapitel findest. Außerdem erhältst du einen Überblick über die wichtigsten im Kapitel behandelten Themenbereiche. 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Kompetenzorientierung in den Zeitbilder-Bänden 7 Österreich II – die Zweite Republik 8 1. Österreich – ein Neubeginn 10 2. Staatsvertrag, Neutralität und Große Koalition 14 3. Alleinregierungen und die Ära Kreisky 18 4. Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz: Die Ära Kreisky 20 5. Die Regierungen seit den 1980er Jahren und der EU-Beitritt 22 6. Kompetenztraining Historische Sachkompetenz: Neutralität und Neutralitätspolitik 24 Basiswissen Österreich II – die Zweite Republik 26 Politische und rechtliche Systeme 28 1. Österreich – eine parlamentarische Demokratie 30 2. Die Bundesverfassung – das Fundament des Staates 33 3. Die Parteien der Zweiten Republik 36 4. Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz: Die Großen Koalitionen der Zweiten Republik 40 5. Die Sozialpartnerschaft 42 6. Verwaltung, Selbstverwaltung und Zivilgesellschaft 44 7. Kompetenztraining Politische Handlungskompetenz: Politische Beteiligung und Zivilgesellschaft 46 8. Kompetenztraining Politische Sachkompetenz: Die direkte Demokratie in Österreich 48 9. Kompetenztraining Politische Sachkompetenz: Die Bedeutung von Messverfahren und Datenerhebung 50 10. Die Gerichtsbarkeit 52 11. Die Kontrolle der Staatsgewalten: Nationale und europäische Gerichtshöfe 54 12. Europa vor der Europäischen Union 56 13. Die EU: Entwicklung und Ziele 59 14. Die EU: Chancen für junge Menschen 62 15. Kompetenztraining Politische Handlungskompetenz: Die EU: Kritik und Probleme 64 16. Vergleich politischer Systeme in der Welt 66 16.1 Grundlagen der westlichen Demokratien 66 16.2 Russland, China und Indien 68 Basiswissen Politische und rechtliche Systeme 70 Kompetenzmodul 7 7. Semester Inhaltsverzeichnis 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Medien und Mediendemokratie 72 1. Die Macht der Medien 74 2. Herausforderungen in der digitalen Welt 76 3. Politik und Medien 78 4. Medien und Mediennutzung in Österreich 80 5. Kompetenztraining Politikbezogene Methodenkompetenz: Möglichkeiten der politischen Artikulation 82 6. Geschichtsdarstellungen in Neuen Medien 84 Politische Bildung Sprache und Politik 86 Internationale Politik der Gegenwart 88 1. Internationale Organisationen 90 1.1 Die UNO 90 1.2 Die NATO und die OSZE 92 1.3 Kompetenztraining Politische Urteilskompetenz: Der Internationale Strafgerichtshof 94 2. Weltmächte seit 1945 96 2.1 USA – Land der (un-)begrenzten Möglichkeiten? 96 2.2 Russland – wieder ein Global Player 100 2.3 Die Volksrepublik China – auf dem Weg zur Weltmacht 102 3. Lateinamerika – zunehmende Bedeutung in der Weltpolitik 106 4. Japan seit 1945 109 5. Kompetenztraining Historische Fragekompetenz: USA – China – Russland: Eine neue weltpolitische Konstellation? 110 6. Konfliktfelder der Gegenwart 112 6.1 Dauerkrise im Nahen Osten 112 6.2 Krisen und Kriege am Persischen Golf 114 6.3 Revolutionen in der arabischen Welt 116 6.4 Afghanistan – ein vorübergehender Gottesstaat? 118 7. Kompetenztraining Historische Orientierungskompetenz: Naher und Mittlerer Osten 120 Längsschnitt Die Konfliktregion Naher und Mittlerer Osten im 20. und 21. Jahrhundert 122 Basiswissen Internationale Politik der Gegenwart 126 Kompetenzmodul 7 8. Semester 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Emanzipatorische Bewegungen und Gegenströmungen nach 1945 128 1. Die Entwicklung der Frauenbewegungen 130 2. Die 1968er-Proteste 132 3. Anti-Atom-Protest und Friedensbewegung 134 4. NGOs – Engagement für Menschen und Umwelt 136 5. Herausforderungen der Gegenwart 138 5.1 Fundamentalismus in der modernen Welt 138 5.2 Terrorismus – eine globale Bedrohung 140 6. Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz: Nationen und ihre Symbole: Der Wiener Heldenplatz 142 Basiswissen Emanzipatorische Bewegungen und Gegenströmungen nach 1945 144 Politische Bildung Sexismus – noch immer ein Problem im Alltag 146 Modul-Check: Kompetenzen trainieren – Kompetenzmodul 7 148 Quellen- und Literaturverzeichnis 151 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Kompetenzorientierung in den Zeitbilder-Bänden Die Zeitbilder-Bände unterstützen Schülerinnen und Schüler darin, Wissen und Kompetenzen im Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung zu erwerben. In Zeitbilder 8 finden sie 12 meist als Doppelseiten konzipierte Kapitel zum Trainieren und Erweitern der im Lehrplan vorgegebenen historischen und politischen Teilkompetenzen. Diese stehen immer wieder auch in Verbindung mit Hinweisen und Anleitungen zur Methodenschulung. Außerdem werden zwei Kapitel zur allgemeinen Vertiefung der Politischen Bildung angeboten. Die Aufgabenstellungen im Schulbuch wurden mit so genannten Operatoren formuliert. Das sind Verben, die zu bestimmten Handlungen auffordern, wie beispielsweise beschreiben, analysieren oder interpretieren. Die Operatoren lassen sich bestimmten Anforderungsbereichen zuordnen. Beschreiben gehört in den Anforderungsbereich I, hier steht die Wiedergabe von Sachverhalten im Mittelpunkt. Analysieren lässt sich dem Anforderungsbereich II zuordnen. Schülerinnen und Schüler sollen Inhalte selbstständig erklären, bearbeiten und auf unbekannte Zusammenhänge anwenden. Interpretieren gehört in den Anforderungsbereich III; Schülerinnen und Schüler sollen in der Lage sein, zu selbstständigen Begründungen und Bewertungen zu gelangen. Das Zeitbilder-Team hat sich bezüglich der Bedeutung der Operatoren am Leitfaden des BM:UKK orientiert (vgl.: Die kompetenzorientierte Reifeprüfung aus Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung. Richtlinien und Beispiele für Themenpool und Prüfungsaufgaben, 2010/2011, S. 14–18). Operatoren des Anforderungsbereiches I Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder 8 herausarbeiten Zusammenhänge aus dem zur Verfügung gestellten Material erkennen und wiedergeben Arbeite heraus, in welchen Ländern die Pressefreiheit bedroht ist. beschreiben Wichtige Sachverhalte aus (Vor-)Wissen oder aus dem zur Verfügung gestellten Material systematisch und logisch wiedergeben Beschreibe auch mit Hilfe der Homepages die angeführten Arbeitgeber/innen- und Arbeitnehmer/innenverbände näher. zusammenfassen Sachverhalte auf das Wesentliche reduzieren und geordnet darlegen Fasse die Ergebnisse zu den in den Schaubildern gestellten Fragen zusammen. Auch: (be)nennen, ermitteln, feststellen, skizzieren, schildern, aufzeigen, auflisten, lokalisieren, definieren, wiedergeben Operatoren des Anforderungsbereiches II Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder 8 analysieren Sachverhalte oder Materialien systematisch untersuchen und auswerten Analysiere das Schaubild in Hinblick auf den Wunsch der Bevölkerung nach einer Großen Koalition. erklären Sachverhalte und Materialien durch eigenes Wissen in einen Zusammenhang einordnen und begründen Erkläre das Thema dieser Karikatur. vergleichen Sachverhalte oder Materialien gegenüberstellen, um so Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten Vergleiche insbesondere die Stellung des Präsidenten in den USA, in Frankreich, in Russland und in China. Auch: erläutern, auswerten, einordnen/zuordnen, untersuchen, begründen, charakterisieren Operatoren des Anforderungsbereiches III Operator Bedeutung des Operators Beispiel aus Zeitbilder 8 rekonstruieren/ erzählen/ darstellen Die Vergangenheit in einer selbstständigen Erzählung kritisch darstellen mit Hilfe von Quellen, Darstellungen und eigenem Wissen Stelle zusammenfassend die Maßnahmen der Entnazifizierung dar. beurteilen Den Stellenwert von Aussagen, Behauptungen und Urteilen bestimmen, um so zu einem begründeten Urteil zu gelangen Beurteile, welche Voraussagen des Politikwissenschaftlers eingetroffen sind bzw. wo er sich geirrt hat. interpretieren Aus Material Sinnzusammenhänge methodisch herausarbeiten und begründet Stellung nehmen Interpretiere den Passus „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln“. Auch: bewerten, erörtern, dekonstruieren, darstellen, Stellung nehmen, diskutieren, überprüfen, gestalten, verfassen 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Die Anfänge der Zweiten Republik waren schwierig: Nach seiner Befreiung von der NS-Herrschaft blieb Österreich zehn Jahre lang von britischen, französischen, sowjetischen und US-amerikanischen Truppen besetzt. Unter deren Aufsicht begann der Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft. Positiv wirkte sich dabei auch der Glaube an ein selbstständiges und „lebensfähiges“ Österreich aus. Am längsten regierte eine Große Koalition von ÖVP und SPÖ bzw. SPÖ und ÖVP das Land: Unter ihr erhielt Österreich 1955 mit dem Staatsvertrag seine Souveränität zurück und beschloss die „immerwährende Neutralität“. Sie führte Österreich 1995 in die EU und bildete auch zwischen 2007 und 2017 mehrere Regierungen. Zukunftsweisende Reformen wurden in den 1970er Jahren während der SPÖ-Alleinregierungen unter Kreisky durchgeführt. Österreich hat sich sowohl außenpolitisch als auch im humanitären Bereich oftmals bewährt: als Asylland bei verschiedenen Flüchtlingskrisen, bei Friedenseinsätzen für die UNO und beim Vorsitz in der OSZE. Dreimal hatte Österreich bisher in der EU den Ratsvorsitz, und trotz verschiedener Vorbehalte sieht die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung die Zukunft der EU derzeit positiv. Österreich II – die Zweite Republik 1943 Moskauer Deklaration 1945–1947 Konzentrationsregierung (ÖVP/SPÖ/KPÖ) 1945 Unabhängigkeitserklärung, Ende des Zweiten Weltkrieges 1955 Staatsvertrag; Neutralitätsgesetz; UNOMitgliedschaft 1947 Große Koalition (ÖVP-SPÖ) (bis 1966); Beginn der Sozialpartnerschaft 1966–1970 ÖVP-Alleinregierung 1970–1983 SPÖ-Alleinregierungen (Kreisky) 1978 Volksabstimmung und Atomsperrgesetz 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Demonstration gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf am 12.6.1977 in Zwentendorf. Foto, 1977. In diesem Kapitel trainiert und erweitert ihr vor allem folgende Kompetenzen: Historische Methodenkompetenz • Erstellen verschiedener Darstellungen der Vergangenheit in verschiedenen medialen Formen (z. B. Sachtext, Plakat, Video) zur gleichen Materialgrundlage (Quellen und Darstellungen) erproben Historische Sachkompetenz • Fachliche Begriffe/Konzepte des Historischen auf Fallbeispiele kritisch anwenden und adaptieren 1986–1999 Große Koalition (SPÖ-ÖVP) 1995 Beitritt zur EU und zur „NATOPartnerschaft für den Frieden“ 2000–2006 Kleine Koalition (ÖVPFPÖ/BZÖ) 2002 Einführung des Euro 2007 Wahlrecht ab 16 Jahren 2007–2017 Große Koalition (SPÖ-ÖVP) ab 2017 Kleine Koalition (ÖVP-FPÖ) 1994 Volksabstimmung über EU-Beitritt Online-Ergänzungen f26jp7 9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Der Wille zur Wiedererrichtung Österreichs Noch während des Zweiten Weltkrieges beschäftigten sich die Regierungen der alliierten Mächte mit der Ordnung Europas nach dem Krieg. Bei einer Außenministerkonferenz in Moskau besprachen Hull (USA), Eden (GB) und Molotow (UdSSR) auch die Zukunft Österreichs. Das Ergebnis war die Moskauer Deklaration (im Oktober 1943): Q Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll. Sie betrachten die Besetzung Österreichs durch Deutschland am 15. März 1938 als null und nichtig. (…) Sie erklären, dass sie wünschen, ein freies, unabhängiges Österreich wieder errichtet zu sehen. (…) Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es jedoch für die Teilnahme am Krieg an der Seite HitlerDeutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird. (Moskauer Deklaration. Online auf: http://www.ibiblio.org/pha/policy/1943/431000a.html, 29. 11. 2017, übersetzt d. A.) Das Kriegsende in Österreich Ende März 1945 drängte die Rote Armee von Osten her die deutsche Wehrmacht immer weiter zurück. Einige Verbände stießen über das Burgenland und die Oststeiermark gegen Graz vor, andere in Richtung Wien. In der „Schlacht um Wien“ Anfang April wurde die ohnehin schwer bombengeschädigte Stadt noch mehr verwüstet. Ende April rückten französische Truppen über Vorarlberg bis nach Tirol vor. US-amerikanische Truppen besetzten Anfang Mai von Bayern kommend Innsbruck, Salzburg und Oberösterreich. Somit befreiten sie am 5. Mai 1945 auch das KZ Mauthausen. Am 8. Mai 1945 endete der Krieg in Österreich durch die bedingungslose deutsche Kapitulation. Die Neugründung der Parteien Schon in den Wochen vor Kriegsende hatten politisch engagierte Menschen – vor allem in den von der Roten Armee besetzten Gebieten – mit der Wiederherstellung des demokratischen Lebens begonnen. Karl Renner, der erste Staatskanzler der Ersten Republik, nahm schon Anfang April das sowjetische Angebot an, eine Konzentrationsregierung zu bilden. Dazu mussten allerdings erst die politischen Parteien wieder erstehen: ––Die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) entstand am 14. April 1945 durch die Vereinigung der ehemaligen Sozialdemokraten mit den Revolutionären Sozialisten. Die Partei war marxistisch ausgerichtet und Gedenkstein „O5“ am Wiener Stephansdom. Foto, 2004. Das Widerstandszeichen „05“ tauchte ab Herbst 1944 wiederholt an Hauswänden auf. Es stand für Österreich („O“ und „5“ für „e“ als der fünfte Buchstabe des Alphabets). hatte das Ziel, alle demokratisch-sozialistischen Wählerschichten der Bevölkerung anzusprechen. ––Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) wurde am 17. April 1945 in Wien von christlichsozialen Politikern gegründet. Sie distanzierte sich von der autoritären und klerikalen Politik der „Vaterländischen Front“ und verstand sich als Volkspartei aller demokratisch-nichtsozialistischen Österreicherinnen und Österreicher. ––Auch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) organisierte sich neu. Ihr Ziel war die Errichtung einer Volksdemokratie in Österreich. Der politische Neubeginn SPÖ, ÖVP und KPÖ bekannten sich zu einem unabhängigen Österreich. Andere Parteien waren von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zugelassen. Auch die Widerstandsbewegung „O5“ wurde von den Parteien und den Sowjets von der politischen Mitarbeit ausgeschlossen. Renner bildete eine provisorische Regierung, der Vertreter aller drei Parteien angehörten (Konzentrationsregierung). In dieser Regierung traten die ideologischen Feindschaften aus der Ersten Republik angesichts der außerordentlich schwierigen politischen und wirtschaftlichen Probleme in den Hintergrund. Geprägt z.T. auch von der gemeinsamen KZ-Erfahrung („Geist der Lagerstraße“), begannen die Politiker in demokratischer Zusammenarbeit den Wiederaufbau. Aus der Vergangenheit hatten auch die Vertreter der Arbeitnehmer gelernt. Gab es in der Ersten Republik nur parteipolitisch ausgerichtete „Richtungsgewerkschaften“, so wurde noch im April 1945 der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) als überparteiliche Organisation gegründet. Die Wiederherstellung des (Gesamt-)Staates Schon am 27. April 1945 veröffentlichte die provisorische Regierung eine Unabhängigkeitserklärung – sozusagen die „Geburtsurkunde“ der Zweiten Republik: 1. Österreich – ein Neubeginn 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Q Art. I: Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten. Art. II: Der im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungene Anschluss ist null und nichtig. Art. III: Zur Durchführung dieser Erklärung wird unter Teilnahme aller antifaschistischen Parteirichtungen eine provisorische Staatsregierung eingesetzt und vorbehaltlich der Rechte der besetzenden Mächte mit der vollen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt betraut. Art. IV: Vom Tage der Kundmachung dieser Unabhängigkeitserklärung sind alle von Österreichern dem Deutschen Reiche und seiner Führung geleisteten militärischen, dienstlichen oder persönlichen Gelöbnisse nichtig und unverbindlich. (Unabhängigkeitserklärung. Online auf: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer= 10000204, 12. 12. 2018) Mit dieser Unabhängigkeitserklärung war jedoch die Einheit des Landes noch nicht erreicht. Die Westalliierten hielten die provisorische Regierung für eine Marionettenregierung der sowjetischen Besatzungsmacht und verweigerten ihr zunächst die Anerkennung. Ab Anfang Juli 1945 war ein „Alliierter Kontrollrat“ die „oberste Regierungsgewalt“ in Österreich. Er bestand aus den vier Befehlshabern der Besatzungsmächte. Alle Beschlüsse der österreichischen Regierung mussten von ihm genehmigt werden. Außerdem wurden das österreichische Staatsgebiet und die Hauptstadt Wien in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Auf Initiative Karl Renners kamen im Herbst 1945 mehrere Länderkonferenzen zustande. Dort legten Politiker aller drei Parteien aus allen Bundesländern ein eindeutiges Bekenntnis zum Gesamtstaat ab. Nun anerkannten auch die Westmächte die Wiener Zentralregierung. Damit war die Gefahr einer Teilung Österreichs gebannt. Erste Wahlen und Konzentrationsregierung Im November 1945 fanden die ersten Nationalratswahlen nach 1930 statt. Da die Mehrzahl der Kriegsgefangenen noch nicht heimgekehrt war und die ehemaligen Nationalsozialisten nicht wählen durften, waren von den fast 3,5 Millionen Wahlberechtigten 64 Prozent Frauen. Die ÖVP erreichte mit 85 Sitzen die absolute Mehrheit im Nationalrat, die SPÖ erhielt 76 und die KPÖ 4 von insgesamt 165 Mandaten. Um dem Druck der Besatzungsmächte besser standhalten zu können, wurde wieder eine Konzentrationsregierung gebildet. ÖVP-Obmann Leopold Figl wurde Bundeskanzler und Adolf Schärf, der Vorsitzende der SPÖ, Vizekanzler. Für die KPÖ übernahm Karl Altmann das Ministerium für Elektrifizierung und Energiewirtschaft. Noch 1945 wurde Karl Renner von der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) einstimmig zum Bundespräsidenten gewählt. Auf eine Volkswahl verzichtete man aus Kostengründen. Bis Juni 1946 durfte das frei gewählte Parlament kein Gesetz ohne einstimmige Genehmigung durch den Alliierten Kontrollrat beschließen. Danach galt dies nur noch für Verfassungsgesetze. Bald wurden die Kontrollen an den Zonengrenzen schrittweise abgeschafft. Auch die Besatzungskosten, für die Österreich aufzukommen hatte, wurden ermäßigt und schließlich gestrichen. Der Kampf gegen den Hunger Aus der Bundeskanzler Leopold Figl zugeschriebenen Weihnachtsansprache 1945: Q (…) Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich. (Figl, Zitate aus Ansprachen. Online auf: https://austria-forum.org/af/ Wissenssammlungen/Zitate/Figl%2C%20Leopold, 29. 11. 2017) Besonders im Osten Österreichs litten die Menschen sehr an den Folgen des Krieges. Hier betrug der tägliche Kaloriensatz der streng rationierten Lebensmittel im Mai 1945 nur 350 Kalorien. Todesfälle infolge Hungers häuften sich, besonders in Wien und den niederösterreichischen Industriebezirken. Die Besatzungszonen bis 1955. Österreich II – die Zweite Republik 11 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

In den westlichen Bundesländern war die Ernährungssituation etwas besser, dort mussten jedoch hunderttausende Flüchtlinge versorgt werden. Hilfsprogramme der Besatzungsmächte (sowjetische Nahrungsmittelspende zum 1. Mai 1945, CARE-Pakete aus den USA) und europäischer Staaten sowie Sachlieferungen der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) linderten die ärgste Not. Schwarzmarkt und Währungsreform Der allgemeine Versorgungsmangel führte zur Entstehung eines Schwarzmarkts. Lieferanten der Schwarzhändler waren häufig alliierte Soldaten, die Lebensmittel, Nylonstrümpfe oder Zigaretten für viel Geld verkauften oder gegen Wertgegenstände wie Uhren oder Fotoapparate eintauschten. Die Regierung reagierte auf den Schwarzmarkt und die sich immer schneller drehende Lohn-Preis-Spirale 1947 mit einer Währungsreform: Pro Kopf der Bevölkerung wurden 150 alte Schillinge im Verhältnis 1:1 in neue umgetauscht, der Rest des Bargeldes wurde um zwei Drittel entwertet, d. h., für drei alte Schillinge bekam man einen neuen. Dies bewirkte eine Verringerung des Geldumlaufs um rund 60 Prozent. Diese Maßnahmen stellten vor allem für Menschen mit niedrigem Einkommen eine große Härte dar. Die KPÖ reagierte darauf mit dem Rücktritt ihres Ministers und ging in die Opposition. Nun gab es erstmals eine Große Koalition von ÖVP und SPÖ (bis 1966). Wirtschaftlicher Neubeginn Landwirtschaft und Industrie waren schwer beschädigt. Viele Betriebe wiesen große Kriegsschäden auf. Die sowjetische Besatzungsmacht demontierte viele Produktionseinrichtungen. Außerdem beschlagnahmten die Sowjets jene Betriebe in ihrer Zone, die ehemals deutsches Eigentum gewesen waren. Insgesamt waren es 252 Industriebetriebe und 140 landwirtschaftliche Betriebe, darunter die gesamte Erdölindustrie und die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Um weiteren Enteignungen durch die Besatzungsmächte zuvorzukommen, beschloss das österreichische Parlament 1946 und 1947 zwei Verstaatlichungsgesetze: Durch sie wurden die damaligen Großbanken, der Kohlebergbau, die Eisen-, Metall- und Erdölindustrie sowie die Elektrizitätswirtschaft verstaatlicht. Von entscheidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau wurde schließlich von 1948 bis 1951 die Einbeziehung Österreichs in den Marshallplan (ERP = European Recovery Program). Österreich erhielt dabei nach Norwegen die zweithöchste Pro-Kopf-Unterstützung (insgesamt knapp 1 Milliarde Dollar). Mit Hilfe von Mitteln aus dem US-Hilfsprogramm wurden z. B. Wasserkraftwerke, Straßen und Brücken gebaut. Mit dem Marshallplan schufen sich die USA nicht nur neue Märkte, er sollte auch dafür sorgen, dass der sowjetische Einfluss auf Mittel- und Osteuropa eingeschränkt bleibt. Die „Entnazifizierung“ in Österreich L Österreicher waren prominent und in großer Zahl an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt und trugen entscheidend zur Durchführung des Massenmordes an den Juden bei. Neben Adolf Hitler und Adolf Eichmann, dem in Linz aufgewachsenen Organisator der „Endlösung“, waren mit Ernst Kaltenbrunner, seit 1943 (…) zweiter Mann hinter Heinrich Himmler, oder mit Odilo Globocnik, (…) dem die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor und Belzec unterstanden, weitere Österreicher Hauptverantwortliche der „Endlösung“. (…) Laut Simon Wiesenthal [der viele Nazi-Verbrecher in der Nachkriegszeit aufspürte; Anm. d. A.] stammten 40 Prozent des Personals und drei Viertel der Kommandanten der Vernichtungslager aus Österreich. (…) Auffallend viele Österreicher waren als Mitglieder der „SS Einsatzgruppen“ an Massenerschießungen von Juden und nichtjüdischen Zivilisten im Rückraum der Ostfront beteiligt (…). (Albrich u. a. (Hg.), Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht. Der Fall Österreich, 2006, S. 7) Sofort nach der militärischen Befreiung Österreichs begannen die Alliierten mit der „Entnazifizierung“. Schon am Tag der Kapitulation wurden die NSDAP, alle ihre Wehrverbände (wie z. B. SA, SS) und andere Organisationen verboten (= „Verbotsgesetz“). Wenig später folgte ein „Kriegsverbrechergesetz“: Alle ehemaligen Nationalsozialisten (Parteimitglieder und Angehörige der Wehrverbände) mussten sich registrieren lassen und waren bei den Nationalratswahlen 1945 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Je nach ihrer Einstufung als Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrecher, als „belastete“ und „minderbelastete“ Nationalsozialisten hatten sie mit weiteren „Sühnefolgen“ zu rechnen: mit Geldstrafen, zeitweiligem Berufsverbot oder fristloser Entlassung vom Arbeitsplatz; in ca. 26 000 Fällen auch mit Verhaftung oder Internierung in einem Anhaltelager. Ab 1946 wurde die „Entnazifizierung“ nur noch von der österreichischen Regierung durchgeführt. So genannte Volksgerichte sprachen bis zum Jahr 1955 13 600 Verurteilungen (darunter 43 Todesurteile und 34 lebenslängliche Haftstrafen) aus. Doch geriet die „Entnazifizierung“ bald zu einer bürokratischen Formalität. 1947 erhielten die „Minderbelasteten“ wieder das aktive Wahlrecht und 1948 beschloss der Nationalrat die „Minderbelastetenamnestie“, durch die ca. 500 000 Personen begnadigt wurden. L Ab 1947/48 verstärkte sich der Trend, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, merklich. Selbst (…) bei den Volksgerichten stieg 1948 die Zahl der Freisprüche auf 52 Prozent (…). (…) Die beiden großen politischen Kräfte versuchten (…) die Stimmen der „Ehemaligen“ zu gewinnen, auch um den Preis des Verzichts der Entnazifizierung. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 307) 12 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Karikatur, Neues Österreich (Tageszeitung), 20. Juli 1946. Erkläre das Thema dieser Karikatur. Interpretiere sie im Zusammenhang mit der „Entnazifizierung“. Es gab aber auch andere Gründe, warum im Bewusstsein vieler Menschen keine „Entnazifizierung“ stattfand: L Konzentriert auf die strafrechtliche Verfolgung wurde die Aufarbeitung der weiterwirkenden Reste der NS-Ideologie vernachlässigt und ihr Weiterleben in Kauf genommen. Dazu kam, dass die „Kleinen“ oft stärker bestraft wurden als die „großen“ Täter, die es verstanden haben, sich der Verantwortung zu entziehen, und sehr bald wieder ihre früheren Positionen in Wirtschaft, Industrie und teilweise auch im Staatsdienst einnehmen konnten. Das Ergebnis war bei jenen, die sich nur als unbeteiligte „Mitläufer“ betrachteten, ein tiefes Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. (…) An die Stelle von Einsicht und Umdenken traten Trotz und Verharren im Unrecht, und viele ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus verweigerten eine offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. (Malina/Spann, 1938–1988, 1988, S. 30) Seit 1991: Österreich war nicht nur Opfer – es gab auch viele Täterinnen und Täter Die Frage der Entschädigung der NS-Opfer blieb viele Jahre ungelöst; vor allem deshalb, weil die österreichischen Regierungen am „Opfermythos“ festhielten. Erst im Jahre 1991 gab der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky im Nationalrat eine in aller Welt beachtete Erklärung ab. Erstmals sprach ein Regierungsvertreter offiziell die „Täterrolle“ vieler Österreicherinnen und Österreicher während der NS-Herrschaft an. Q Es ist unbestritten, dass Österreich im März 1938 Opfer einer militärischen Aggression mit furchtbaren Konsequenzen geworden war: Die unmittelbar einsetzende Verfolgung brachte hunderttausende Menschen unseres Landes in Gefängnisse und Konzentrationslager, lieferte sie der Tötungsmaschinerie des Nazi-Regimes aus, zwang sie zu Flucht und Emigration. Hunderttausende fielen an den Fronten oder wurden von den Bomben erschlagen. Juden, Zigeuner, körperlich oder geistig Behinderte, Homosexuelle, Angehörige von Minderheiten, politisch oder religiös Andersdenkende – sie alle wurden Opfer einer entarteten Ideologie und eines damit verbundenen totalitären Machtanspruchs. Dennoch haben auch viele Österreicher den Anschluss begrüßt, haben das nationalsozialistische Regime gestützt, haben es auf vielen Ebenen der Hierarchie mitgetragen. Viele Österreicher waren an den Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen des Dritten Reichs beteiligt, zum Teil an prominenter Stelle. Über eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen. (…) Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten. (Vranitzky. Online auf: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XVIII/ NRSITZ/NRSITZ_00035/imfname_142026.pdf, Stenogr. Protokoll, S. 3282 f., 13. 12. 2017) Arbeite die wesentlichen Aussagen dieser Rede heraus. Beurteile die Position, die Vranitzky zur „Täter- und Opferrolle“ der österreichischen Bevölkerung einnimmt. Im Jahr 2000 wurde ein „Versöhnungsfonds“ für noch lebende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingerichtet, 2001 ein „Entschädigungsfonds“ für die Rückgabe von enteignetem jüdischem Vermögen. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erläutere, warum aus der Moskauer Deklaration ein „Opfermythos“ abgeleitet worden ist. 2. Erkläre mögliche Gründe für die Bildung der Konzentrationsregierung im Jahr 1945 und beurteile die Vor- und Nachteile einer solchen Regierungsform. 3. Erörtere, welche Vor- bzw. Nachteile eine Verstaatlichung von wichtigen Unternehmen haben kann. 4. Stelle zusammenfassend die Maßnahmen der Entnazifizierung dar. Erkläre, welche politischen und gesellschaftlichen Probleme damit verbunden waren bzw. sind. Österreich II – die Zweite Republik 13 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

Die Außenpolitik eines besetzten Kleinstaates In der Moskauer Deklaration des Jahres 1943 legten die alliierten Außenminister der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion die Wiederherstellung Österreichs als eines ihrer Kriegsziele fest. Je näher der Sieg über den Nationalsozialismus rückte, desto größer aber wurde ihr gegenseitiges Misstrauen. Es führte bald nach dem Weltkrieg zum Kalten Krieg. Österreich wurde dabei zu einem Spielball der Politik der Großmächte. Obwohl es als befreites Land bezeichnet wurde, gestanden die Besatzungsmächte Österreich erst 1955 die volle Souveränität zu. Trotz der Beschränkungen durch die Besatzungsmächte bemühte sich schon die erste österreichische Regierung um eine eigenständige Außenpolitik. Dazu zählt besonders die von den Westmächten unterstützte Abweisung jugoslawischer Gebietsansprüche in Kärnten und der Südsteiermark. Jugoslawien fehlte ab 1948 auch die Unterstützung durch die Sowjetunion, weil es zum Bruch zwischen dem kommunistischen jugoslawischen Staatspräsidenten Tito und Stalin gekommen war. Die „Südtirolfrage“ Österreichs Ansprüche an Italien – die Rückgabe des deutschsprachigen Südtirol – wurden von den Siegermächten abgelehnt. Allerdings erreichte Österreich 1946 ein Abkommen mit Italien zum Schutz der deutschsprechenden Bevölkerung. Es legte u.a. die Rechte hinsichtlich der Verwendung der deutschen Sprache fest. Q 1. Den deutschsprachigen Einwohnern der Provinz Bozen und der benachbarten zweisprachigen Ortschaften der Provinz Trient wird volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnern (…) zum Schutz des Volkscharakters und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des deutschsprachigen Bevölkerungsteiles zugesichert werden. (…) den Staatsbürgern deutscher Sprache [wird] insbesondere Folgendes gewährt werden: a) Volks- und Mittelschulunterricht in der Muttersprache; b) Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden sowie bei den zweisprachigen Ortsbezeichnungen; c) das Recht, die in den letzten Jahren italienisierten Familiennamen wiederherzustellen; d) Gleichberechtigung hinsichtlich der Einstellung in öffentliche Ämter (…). 2. Der Bevölkerung der oben erwähnten Gebiete wird die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt gewährt werden (…). (Zit. nach: Steininger, Die Südtirolfrage, Dokument 1, 1997, S. 497) Nimm Stellung dazu, welche Bedeutung solche Rechte für eine Minderheit in einem Staat haben. Recherchiere, in welchen Staaten der Erde gegenwärtig um solche Regelungen gekämpft wird. Das Abkommen wurde von Italien nur schleppend und unzureichend erfüllt. In den 1960er Jahren eskalierte deshalb der Konflikt, es erfolgten terroristische Anschläge auf italienische Einrichtungen (u. a. wurden Leitungsmasten gesprengt). 1969 schließlich wurde von beiden Staaten das so genannte „Südtirolpaket“ unterschrieben. Es legte die Autonomie Südtirols fest und trat 1972 in Kraft. Die Verhandlungen um seine Erfüllung durch Italien wurden 1992 abgeschlossen. Der lange Kampf um den Staatsvertrag Die wichtigsten Ziele der österreichischen Außenpolitik waren der Abzug der Besatzungsmächte und die Erlangung der vollen Souveränität. Obwohl sich Politiker schon ab 1946 darum bemühten, „froren“ die Verhandlungen im Zuge des Kalten Krieges ein. Erst Stalins Tod (1953) leitete eine „Tauwetterperiode“ ein. 1954 forderte der sowjetische Außenminister Molotow, dass in einem Staatsvertrag die Neutralität Österreichs verankert sein müsse. Das jedoch lehnten die Westmächte strikt ab. Außerdem bestand Molotow auf der weiteren Stationierung alliierter Truppen in Österreich über den Staatsvertrag hinaus bis zum Inkrafttreten eines Friedensvertrages mit Deutschland. Dieser aber schien sich noch lange nicht verwirklichen zu lassen. Die westdeutsche Regierung lehnte nämlich nicht nur das sowjetische Angebot eines bündnisfreien Deutschland ab, sondern beschloss den NATO-Beitritt. Dennoch wurde im Frühjahr 1955 die österreichische Bundesregierung zu Gesprächen nach Moskau eingeladen. Dort wurde mit dem Moskauer Memorandum im April 1955 der Durchbruch zum Staatsvertrag erzielt. Es 2. Staatsvertrag, Neutralität und Große Koalition „Die Vier im Jeep“, internationale Patrouille in Wien. Foto, ca. 1950. 14 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

enthielt Bestimmungen über die Ablöse für die sowjetischen Unternehmungen in Österreich (u. a. 150 Millionen Dollar in Waren, 2 Millionen Dollar in bar für die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft und 10 Millionen Tonnen Erdöl für die Ölfelder und Raffinerien). Daneben enthielt es auch ein politisches Tauschgeschäft: ––Die Sowjetunion versprach den Abschluss des Staatsvertrages und den Abzug der Truppen aus Österreich. ––Österreich versprach, immerwährend eine Neutralität zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wurde. Nachdem der österreichische Nationalrat diese Abmachungen anerkannt und auch die westlichen Besatzungsmächte zugestimmt hatten, wurde der Vertrag im Mai 1955 in Wien unterzeichnet. Das Ziel war erreicht. Außenminister Figl hat es nach seiner Unterschrift im Schloss Belvedere ausgedrückt: „Österreich ist frei!“ Staatsvertrag und „immerwährende Neutralität“ L Im Staatsvertrag ist von der Neutralität nicht die Rede. Der Zusammenhang zwischen Staatsvertrag und Neutralität ist ein historisch-politischer – mit Blick auf Moskau –, kein rechtlicher. In Artikel 1 heißt es, daß „Österreich als ein souveräner, unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt“ sei; in Artikel 2 wurde die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs durch die Alliierten und Assoziierten Mächte anerkannt; in Artikel 3 wurde die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch Deutschland bestimmt; der Artikel 4 enthielt das Verbot des Anschlusses von Österreich an Deutschland; in Artikel 5 wurden die Grenzen von Österreich festgeschrieben; in Artikel 6 verpflichtete sich Österreich, die Menschenrechte umfassend einzuhalten; in Artikel 7 wurden die slowenischen und kroatischen Minderheitenrechte festgelegt. (Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, 1997, S. 238 f.) Die Neutralität Österreichs ist nicht im Staatsvertrag festgeschrieben. Die Neutralitätserklärung, obwohl Vorbedingung der Sowjetunion für den Staatsvertrag, sollte von Österreich freiwillig erfolgen, d. h. erst nach Abzug der Besatzungsmächte. Am 26. Oktober 1955 beschloss daher der Nationalrat einstimmig das Bundes-Verfassungsgesetz über die Neutralität der Republik Österreich: Q (1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. (Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1955, 57. Stück, 211) Das Völkerrecht unterscheidet zwischen einer „temporären“, also in einer bestimmten Konfliktsituation zeitlich begrenzten, und einer „dauernden“ Neutralität. Diese beinhaltet besondere Verpflichtungen: –– Das Verbot, einen Krieg zu beginnen. –– Das Verbot der Teilnahme an Kriegen zwischen dritten Staaten. –– Die Pflicht zur Erhaltung und Verteidigung der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der Neutralität sowie zur Anschaffung der dazu notwendigen Mittel. –– Die Pflicht, jedes Verhalten zu vermeiden, das einen Staat in der Zukunft vielleicht in Konflikt mit seinen Neutralitätspflichten bringen könnte. „Westintegration“ trotz Neutralität Die wirtschaftliche und politische Anbindung Österreichs an die westlichen Alliierten war schon mit Beginn des Kalten Krieges deutlich: Wirtschaftlich besonders bedeutend war dabei die Einbeziehung Österreichs in den Marshallplan. Politisch bedeutend war sowohl die antikommunistische Haltung der beiden Großparteien als auch die einer großen Bevölkerungsmehrheit. So kommentierte Bundeskanzler Raab am 26.10.1955 das gerade beschlossene Neutralitätsgesetz im Nationalrat: Die Neutralität sei militärisch und nicht ideologisch zu verstehen, sie verpflichte den Staat, aber nicht die Staatsbürgerin oder den Staatsbürger. Dennoch blieben auch nach 1955 geheime Waffenlager des US-Geheimdienstes CIA und des britischen Ge- Erich Lessing, Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages auf dem Balkon des Wiener Belvedere. Foto, 15. Mai 1955. Leopold Figl mit dem Staatsvertrag zwischen den Außenministern der Signatarstaaten (von links nach rechts) Pinay (Frankreich), Dulles (USA), Macmillan (Großbritannien) und Molotow (Sowjetunion). Österreich II – die Zweite Republik 15 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

heimdienstes MI6 in ihren früheren Besatzungszonen bestehen. Außerdem gab es von österreichischer Seite immer wieder Kontakte zur NATO. Im Ernstfall erhoffte man sich vom österreichischen Bundesheer, es könne die Nord-Süd-Verbindung zwischen den NATO-Staaten Italien und Deutschland gegen einen Vorstoß der kommunistischen Warschauer Pakt-Truppen verteidigen. Neutralitätspolitik und Landesverteidigung Schon im Dezember 1955 wurde Österreich als „dauernd neutraler“ Staat in die Vereinten Nationen aufgenommen. Nach 1955 fanden die österreichischen Regierungen zu einer eigenständigen Neutralitätspolitik: ––eine aktive Außenpolitik der „guten Dienste“: z. B. durch Vermittlung in Konflikten, durch Beteiligung an friedenssichernden Maßnahmen der UNO (die österreichischen „Blauhelme“), als Gastgeber für internationale Organisationen (Wien als UNO-Zentrum). ––eine Stärkung der Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit Österreichs. Dazu wurde 1975 die „Umfassende Landesverteidigung“ beschlossen: Q Art. 9a. (1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. (…) (2) Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. (3) Jeder männliche österreichische Staatsbürger ist wehrpflichtig. Wer aus Gewissensgründen die Erfüllung der Wehrpflicht verweigert und hievon befreit wird, hat einen Ersatzdienst zu leisten. Das Nähere bestimmen die Gesetze (Umfassende Landesverteidigung. Online auf: http://www.bundesheer. at/pdf_pool/gesetze/verfassungsrecht.pdf, 13. 12. 2017) Seit dem Endes des Kalten Krieges wird in Österreich über die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines Freiwilligen- bzw. Berufsheeres diskutiert. Im Jahr 2010 sprach sich erstmals ein amtierender Verteidigungsminister für ein Berufsheer aus. Doch die österreichische Bevölkerung stimmte bei einer Volksbefragung im Jahr 2013 mit knapp 60 Prozent für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Neutralität im Wandel L Bis Mitte der achtziger Jahre blieb die Neutralität Österreichs unter österreichischen Völkerrechtsexperten unumstritten; (…). Nie zuvor ist so viel über die Neutralität Österreichs diskutiert worden wie in den Jahren vor dem Beitritt zur Europäischen Union und in den Jahren unmittelbar vor der Jahrtausendwende. Während die Neutralitätsbefürworter still geworden sind, wurde die Diktion der Neutralitätsgegner, die in den neunziger Jahren den sofortigen NATO-Beitritt forderten, immer radikaler (…). (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 203 f.) Mehr als zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung waren 2010 noch für die Beibehaltung der österreichischen Neutralität. Sie wurde zu einem wesentlichen Merkmal der österreichischen Identität: sowohl als Faktor für den Aufstieg zu einem der reichsten Staaten der Welt als auch für den inneren und äußeren Frieden unseres Landes. Kritische Rechtsexpertinnen und -experten allerdings betrachten die österreichische Neutralität seit dem EU-Beitritt und der Zustimmung zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als völlig ausgehöhlt. Dennoch ist sie noch immer gültiges Verfassungsgesetz (Stand: 2018). Vom VdU zur FPÖ 1949 zog der im selben Jahr gegründete VdU (= Verband der Unabhängigen) als vierte Partei in den Nationalrat ein. Er erreichte auf Anhieb einen relativ hohen Stimmenanteil (12 Prozent). Das war darauf zurückzuführen, dass bei diesen Wahlen erstmals auch die „minderbelasteten“ Nationalsozialisten (ca. eine halbe Million Personen) stimmberechtigt waren. Diese neue Partei war das Sammelbecken des „nationalen Lagers“. Doch schon 1955 kam das Ende des VdU; in seinem Programm stand nämlich: „Österreich ist ein deutscher Staat. Seine Politik muss dem ganzen deutschen Volk dienen.“ Das war mit dem Staatsvertrag und dem Neu- Neben verschiedenen Einsätzen für die UNO und die EU sind österreichische Soldaten seit 1999 auch im Kosovo unter Leitung der NATO stationiert, um dort einen sicheren Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Bundesministerium für Landesverteidigung, Foto, undatiert. 16 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

tralitätsgesetz nicht vereinbar. Aus den Resten des VdU entstand im Jahr 1956 die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Sie bekannte sich zwar auch zur „deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft“, aber ebenso uneingeschränkt zur „Eigenstaatlichkeit Österreichs“. Große Koalition und Sozialpartnerschaft Kanzler Figl (ÖVP) und Vizekanzler Schärf (SPÖ) führten die 1947 begonnene Große Koalition weiter fort. Trotz der Währungsreform bildete die Inflation nach wie vor ein Problem. Dazu stiegen die Lebenshaltungskosten deutlich stärker als die Löhne. Dies führte zu einer noch stärkeren Bindung zwischen ÖVP und SPÖ: Ab 1947 kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Bundeswirtschaftskammer (BWK). Diese vereinbarten ein „1. Preis- und Lohn-Abkommen“ zur Stabilisierung der Wirtschaft. Sie begründeten damit die bis heute bestehende Sozialpartnerschaft (S. 42 f.). Der drohende Generalstreik – ein Putschversuch? Ende September 1950 war zur Inflationsbekämpfung bereits das „4. Preis- und Lohn-Abkommen“ beschlossen worden. Es belastete neuerlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Über 100 000 Menschen nahmen daher an Streiks und Demonstrationen teil, in Ostösterreich gab es auch Straßen- und Eisenbahnblockaden. Den Aufruf der Kommunisten zum Generalstreik am 4. Oktober 1950 erklärten Regierung und ÖGB-Führung als Versuch, „die Demokratie zu stürzen“. Polizei und gewerkschaftliche Gegengruppen räumten die von kommunistischen Streikkommandos errichteten Barrikaden sowie die besetzten Elektrizitätswerke und Bahnhöfe. Bereits nach zwei Tagen brach der Streik zusammen. Auch die sowjetische Besatzungsmacht unterstützte die kommunistische Streikbewegung nur teilweise, da auch die sowjetisch verwalteten Betriebe durch die Protestmaßnahmen wirtschaftlich geschädigt wurden. 1994 urteilte der Historiker Ernst Hanisch über dieses Ereignis: L Sie [die KPÖ] sah die Chance, über Massenunruhen wieder ins politische Spiel zu kommen, verlorene Positionen in der Gewerkschaft und in der Regierung zurückzuerobern. Genau das aber war auch die Chance von Regierung und Gewerkschaft. Sie antworteten auf die KPÖ-Agitation mit der Parole: Die Kommunisten planen einen Putsch; sie wollen in Österreich eine Volksdemokratie einführen. (…) Der Putschvorwurf war nicht nur eine geschickte Gegenpropaganda; die dahinter stehenden Ängste waren sehr real – lag doch der kommunistische Putsch in Prag erst zwei Jahre zurück. (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 445) Der Historiker Oliver Rathkolb meinte dazu im Jahr 2011: L Alle vorhandenen Quellen und die (…) wissenschaftlichen Analysen schließen eine derartige Planrichtung [= einen Putschversuch] als unrealistisch aus, doch der „Putschversuch“ von 1950 bleibt ein Mythos, der aus (…) der Nachkriegsgeneration nicht wegzudenken ist. (Rathkolb, Die paradoxe Republik, 2011, S. 26) Das österreichische „Wirtschaftswunder“ Die ÖVP verfolgte zu Beginn der 1950er Jahre, ähnlich wie in der Ersten Republik, eine strenge staatliche Sparpolitik. Die Folge waren geringe Produktionsziffern und Tausende Arbeitslose (Höchstwert im Februar 1954: 308000 Menschen). Doch ab 1953 begann der Wirtschaftsaufschwung, beeinflusst auch von einer weltweiten Konjunkturbelebung. Jetzt konnte auch die Lebensmittelrationierung endgültig aufgehoben werden. Es folgte ein riesiges Investitionsprogramm: Die Wasserkraft wurde ausgebaut (z. B. das Speicherkraftwerk Kaprun), die Eisenbahn auf den wichtigsten Strecken elektrifiziert, der Autobahnbau (Salzburg – Wien) vorangetrieben und die Verstaatlichte Industrie modernisiert. Zehn Jahre nach Kriegsende konnte die Regierungskoalition eine sehr positive Bilanz vorweisen: Die Wirtschaft hatte sich erholt, innenpolitisch herrschte Frieden, hinzu kam noch der lang ersehnte Staatsvertrag. Krise und Ende der Großen Koalition Am Beginn der 1960er Jahre leistete die Große Koalition noch gute Arbeit. Die Arbeitslosigkeit sank erstmals unter 100000. Es wurde in jedem österreichischen Bezirk eine höhere Schule errichtet. Die Koalitionsregierung konnte mit ihrer breiten parlamentarischen Mehrheit auch große staats- und wirtschaftspolitische Aufgaben lösen. Dennoch zeichnete sich ihr Ende immer deutlicher ab. Mitte der 1960er Jahre waren die Politiker der unmittelbaren Nachkriegszeit gestorben (Raab, Figl, Schärf). Die nächste Politikergeneration war in ihrer Haltung zur Koalition schon sehr gespalten. Die Wahlen im Jahr 1966 brachten der ÖVP die absolute Mehrheit. Sie stellte nun die erste Alleinregierung der Zweiten Republik. Die SPÖ ging in die Opposition. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Analysiere und bewerte die unterschiedlichen Interessen von KPÖ, Gewerkschaft und Regierung im Zusammenhang mit den Ereignissen im Oktober 1950. 2. Fasse die wesentlichen Artikel des Staatsvertrages zusammen. Arbeite den rechtlichen Unterschied zwischen Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz heraus. 3. Erläutere den Zweck der Neutralität. Interpretiere den Passus „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln“. 4. Diskutiert in der Klasse: „Österreichische Neutralität heute – pro und kontra“. 5. Formuliere Argumente für und gegen die allgemeine Wehrpflicht bzw. für ein Berufsheer sowie für und gegen den Wehrersatzdienst („Zivildienst“). Österreich II – die Zweite Republik 17 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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