Zeitbilder 7, Schülerbuch

Mitglieder. Positives Verhalten Einzelner hat nicht annähernd den gleichen pauschalierenden Effekt (…). Ein drittes Merkmal (…) ist seine (…) Resistenz [= Widerstand] gegen rationale, d. h. logische Argumente. Mit [Vorurteilen] kann die Welt in „gut“ und „böse“ strukturiert werden: „Juden haben eine besondere Affinität [hier: Naheverhältnis] zum Geld“ oder „Muslime sind religiöse Fanatiker“ oder „Zigeuner haben weder einen Zeitbegriff noch Respekt vor fremden Eigentum“ (…). Ein weiteres Charakteristikum des Vorurteils ist schließlich das verbreitete Gefühl des Bedrohtseins, der Existenzangst, das viele Menschen plagt. Sie projizieren [= übertragen] (…) ihre Emotionen auf eine Minderheit, in der sie alles, was ihnen Sorge macht, verkörpert sehen. (…) Das Stereotyp [= festes Bild] (…) wird nicht hinterfragt und braucht keine Begründung. Der Angehörige einer bestimmten Ethnie ist deshalb durch stereotype Klischees (…) als listig oder verschlagen, als faul oder berechnend charakterisiert. Natürlich gibt es auch positive stereotype Bilder wie z. B. die „schöne Jüdin“ oder die „temperamentvolle Italienerin“. (Benz, Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit, 2014, S. 14 f.) Die jahrhundertelang überlieferte Ritualmordlegende des „Anderl von Rinn“ in Tirol: Die Unterstellung, Juden würden aus diesem Grund Christenkinder töten, weil sie deren Blut etwa zur Herstellung von Matzen [= ungesäuertes Brot] benötigen würden, ist nicht nur angesichts der jüdischen Speisegesetze völlig absurd, aber so zählebig wie andere irrationale Beschuldigungen. (…) Ritualmordlegenden dienen seit dem Mittelalter der Stigmatisierung [= diskriminierende Kennzeichnung] der Juden als Fremde, die auf Grund ihres Glaubens auszugrenzen sind. Dazu sind „teuflische“ Machenschaften wie Hostienfrevel und Ritualmord als sinnfällige „Beweise“ der Andersartigkeit der Juden notwendig und nützlich. (…) Zu den Motiven der Errichtung eines Kultus gehörte das Bedürfnis, einen lokalen Märtyrer zu verehren. (…) Verschwand irgendwo ein Kind, wurden die örtlichen Juden des Ritualmords beschuldigt und durch Folter zum „Geständnis“ der Missetat gezwungen. Das war (…) vorbildlich für viele Fälle, auch für die Stiftung des Anderl-von-Rinn-Kultes in Tirol. (…) Den Arzt Hippolyt Guarinoni (1571 –1654) inspirierte 1619 das Gerücht über einen fünf Generationen zurückliegenden Ritualmord, (…) am 12. Juli 1462 hätten durchreisende jüdische Kaufleute das Kind Andreas Oxner von seinem Taufpaten gekauft und durch Folter zum Tode gebracht. Die (…) wichtigsten Ergebnisse seines Forschens (…) erschienen ihm in Träumen. Das dürftige Fundament war (…) kein Hindernis für die Etablierung eines Märtyrerkultes, der bis zum Ende des 20. Jahrhunderts blühte. M2 Um deine Politische Urteilskompetenz weiterzuentwickeln, sollst du mit Hilfe der Quellen und Darstellungen auf dieser Doppelseite Merkmale von Vorurteilen, Vorausurteilen und rational begründeten Urteilen kennen und voneinander unterscheiden lernen. Urteilskompetenz bezieht sich hier auf fertig vorliegende Urteile. Inhaltlich sollen sie am Beispiel des historischen Umgangs mit der jüdischen Minderheit in Österreich erarbeitet werden. Definitionen Begründete Urteile … beruhen entweder auf empirisch gesicherten Befunden (wissenschaftliche Untersuchungen, herrschende Lehrmeinungen) bzw. auf einer ausreichenden Erfahrung oder sind logisch aus solchen Befunden oder Erfahrungen ableitbar. (Ammerer, Warum denke ich, was ich denke? In: Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 29, 2008, S. 16). Vorausurteile … beruhen auf einer schmalen und nicht gesicherten Wissensbasis. … entspringen eventuell dem „common sense“ [= gesunder Menschenverstand] oder individuellen, wenig reflektierten Prinzipien. (Ammerer, Warum denke ich, was ich denke? In: Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 29, 2008, S. 16). Vorurteile Ein Vorurteil ist ein Urteil über Personen oder Sachverhalte, das ohne wirkliches Wissen über diese Person bzw. diesen Sachverhalt gebildet wird. Damit ist auch eine Wertung verbunden. Vorurteile können etwas entweder besser oder aber schlechter darstellen, als es tatsächlich ist, sie können also positiv oder negativ sein. Wenn behauptet wird, dass alle Deutschen fleißig sind, so ist dies genauso ein Vorurteil wie die Annahme, dass alle Schotten und Schottinnen sparsam oder alle Menschen in Österreich gemütlich seien. (…) Gefährlich werden Vorurteile, wenn sie zur Diskriminierung anderer Menschen führen. Das ist z. B. bei rassistischen Vorurteilen der Fall. (Politiklexikon für junge Leute. Online auf: www.politik-lexikon.at/vorurteil/, 20. 9. 2017). Vorurteil – eine Begriffsklärung: Versteht man Vorurteile als Zuschreibung von Eigenschaften, die unsere Wahrnehmung (…) von Individuen, Personengruppen, Ethnien, Nationen bestimmen – als „geschäftstüchtige Juden“, „diebische Zigeuner“, „eroberungssüchtige Muslime“, (…) „kriminelle Albaner“ usw. – , so ist ihre Erforschung notwendig, um [ihre] Funktion und Wirkung (…) zu verstehen. (…) Charakteristisch für das Vorurteil ist die Verallgemeinerung: Ein einmal beobachteter oder überlieferter Sachverhalt wird (…) generalisiert [= verallgemeinert]. (…) Als Beweisargument wird die punktuelle Erfahrung oder auch nur (…) das Gerücht verbindlich gesetzt zur Definition (…) einer ganzen Gruppe von Menschen. (…) Ein zweites Definitionselement des Vorurteils ist die Bewertung einer (…) als Einheit wahrgenommenen Gruppe aufgrund negativen Verhaltens einzelner M1 9. Antisemitische Vorausurteile und Vorurteile 76 Kompetenztraining Politische Urteilskompetenz Vorurteile und Vorausurteile von rational begründeten Urteilen unterscheiden Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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