Zeitbilder 7, Schülerbuch

Als am 12. Februar 1934 eine große Waffensuchaktion begann, eröffneten in Linz der Schutzbundkommandant Richard Bernaschek und seine Schutzbündler das Feuer auf die Polizei. So begann der Bürgerkrieg. Die Wiener Parteiführung proklamierte für ganz Österreich den Generalstreik und rief den Schutzbund zu den Waffen. Allerdings wurde der Streikaufruf kaum befolgt, nur ein kleiner Teil der Schutzbundangehörigen beteiligte sich an den Kampfhandlungen. Gekämpft wurde vor allem in Wien um die Gemeindebauten, in den Industriezentren des Wiener Beckens, in Linz, in Graz, in der Obersteiermark, aber auch in Westösterreich, wie z.B. in Wörgl. Die Regierung setzte ihre gesamte Macht ein: Polizei, Bundesheer, Gendarmerie und Heimwehr. Nach zwei Tagen brach der Widerstand des Schutzbundes zusammen, am 15. Februar 1934 war der Bürgerkrieg zu Ende. Als Folge dieser Kämpfe starben insgesamt zwischen 350 und 360 Menschen: Ein knappes Drittel davon waren Kämpfer des Schutzbundes, ebenso viele bei der Exekutive. Die meisten Toten (etwa 38 %) waren nichtkämpfende Personen. Mehr als die Hälfte der Todesopfer gab es in Wien, dahinter folgen Oberösterreich (21%) und die Steiermark (17%). Die Justiz ging gegen die Aufständischen mit Härte vor. Neun von ihnen wurden von Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet. Prominente sozialdemokratische Politiker, darunter Otto Bauer, flohen. Hunderte Schutzbündler und sozialdemokratische Funktionäre wurden in „Anhaltelager“ – das größte war im niederösterreichischen Wöllersdorf – gebracht. Diese hatte die Regierung nach dem deutschen Vorbild der Konzentrationslager ab Herbst 1933 für Regimegegner, hauptsächlich für Nationalsozialisten und Kommunisten, eingerichtet. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe, wie der Nationalrat von der Regierung Dollfuß ausgeschaltet und mit welchen Mitteln ein autoritärer Staat errichtet wurde. 2. Erkläre in eigenen Worten die Bedeutung der Begriffe „Tausend-Mark-Sperre“ und „Vaterländische Front“. 3. Analysiere anhand der „Trabrennplatzrede“ die Ideologie der „Vaterländischen Front“ und die Grundzüge des Ständestaates. Nenne die politischen Gegner, die Dollfuß anführt, und erläutere mit Hilfe des Autorentextes die ideologischen Gründe für diese Gegnerschaft. Die Gründung der „Vaterländischen Front“ Wichtige Schritte bei der Errichtung des autoritären Ständestaates waren das Verbot der Parteien und die Gründung der „Vaterländischen Front“ im Mai 1933. Diese verstand sich nicht als Partei, sondern als eine überparteiliche Massenorganisation nach Art der faschistischen Parteien. In ihr sollte das österreichische Nationalbewusstsein vertieft werden. Von allen Staatsbeamten wurde der Beitritt zur „Vaterländischen Front“ erwartet, viele Organisationen und Vereine traten geschlossen bei, nicht alle freiwillig. Dollfuß erklärte in der berühmt gewordenen „Trabrennplatzrede“ im September 1933: QIch will heute all das, was insbesondere in unserem Parlament und in der sogenannten Demokratie gesündigt worden ist, nicht im einzelnen anführen (…). Dieses Parlament (…) wird und darf nie wiederkommen. Im Kampf gegen den Marxismus, der rascher als jemand zu hoffen wagte, zurückgedrängt werden konnte, ist uns unter der Fahne des Nationalsozialismus eine Bewegung in den Rücken gefallen, und so war die Regierung gezwungen, in einem Zweifrontenkrieg die Führung des Staates fest in die Hand zu nehmen (…). Ständischer Neubau ist die Aufgabe, die uns in diesen Herbstmonaten gestellt ist. Der Berufsstand ist die Ablehnung klassenmäßiger Zusammenfassung des Volkes. Berufsauffassung besagt die gemeinsame Arbeit, die die Menschen einigt (…). Im Bauernhause, wo der Bauer mit seinen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abends am gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seine Suppe isst, da ist berufsständige Zusammengehörigkeit, berufsständige Auffassung. (Zit. nach: Berchtold (Hg.), Österreichische Parteiprogramme 1868– 1966, 1967, S. 428 ff.) Bürgerkrieg in Österreich Die Regierung ging gezielt gegen die Sozialdemokraten vor. Der Republikanische Schutzbund wurde bereits im März 1933 aufgelöst. In der Folge kam es immer wieder zu provokanten Waffensuchaktionen in sozialdemokratischen Parteilokalen durch die Polizei und die Heimwehr. Regierung und Heimwehr waren fest entschlossen, die Sozialdemokratie auszuschalten. Albert Hilscher, Zerschossene Küche im Karl-Marx-Hof in Wien. Foto, 12. Februar 1934. Die Regierung ließ Artillerie gegen Arbeiterwohnungen einsetzen. Österreich I – die Erste Republik 49 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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