diesem blutigen Freitag ging mehr in Trümmer als der Justizpalast: Die Arbeiterklasse verlor ihr Vertrauen in den Rechtsstaat, die Sozialdemokratie den Glauben an die Allmacht ihrer Organisation. Die Ausschaltung des Parlamentes 1933, die Auflösung der Sozialdemokratie 1934 waren nur noch die letzten Konsequenzen dieser großen Niederlage der jungen Demokratie. (Zit. nach: Steininger, 12. November 1918 bis 13. März 1938. In: Gehler/Steininger (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert, 1997, S. 120 f.) Der österreichische Politikwissenschafter Anton Pelinka über den Brand des Justizpalastes (2017): Die Ereignisse des Juli 1927 zeigten, wie dünn die Fassade demokratischer Stabilität war, die sich die Republik 1920 und danach zuzulegen verstanden hatte. Die Wirtschaftskrise sollte erst zwei Jahre später beginnen und die NSDAP erst 1930 den Durchbruch bei Wahlen in Deutschland schaffen. Der Brand des Justizpalastes und die darin überdeutlich extreme Brüchigkeit der demokratischen Republik hatte mit diesen erst später hinzutretenden Faktoren an sich nichts zu tun: Die Republik war schon morsch, bevor Massenarbeitslosigkeit und Nationalsozialismus sich auswirken konnten. (Pelinka, Die gescheiterte Republik, 2017, S. 125) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Benenne die Bildkomponenten des Fotos M1. Erkläre, welche Aussagen über das Ereignis mit Hilfe der Quelle „Foto“ möglich sind und welche Fragen offen bleiben. Erläutere, welche zusätzlichen Informationen zur Interpretation des Fotos wichtig wären. 2. Beurteile, inwiefern die „Arbeiter-Zeitung“ eine Verstärker- bzw. Auslöserrolle für den Ausbruch von Gewalt gespielt haben könnte. Berücksichtige dabei auch die Schlagzeilen von M2. 3. Arbeite die Hauptaussagen aus dem Artikelausschnitt (M3) heraus. Erkläre, an welche Leserschaft (Adressatinnen und Adressaten) der Artikel gerichtet war. Beurteile, welche Wirkung er wohl gehabt hat. 4. Fasse die wichtigsten inhaltlichen Aussagen von M4 zusammen. Arbeite die für die Gattung „Politische Rede“ typischen sprachlichen und stilistischen Mittel heraus. Beurteile die mögliche Absicht dieser Rede. 5. Vergleiche die beiden Quellen M4 und M5 im Hinblick auf ihre unterschiedliche Bewertung des Justizpalastbrandes. Beurteile, inwiefern sie sich aufgrund von ideologischen Unterschieden erklären lassen. 6. Beschreibe und analysiere das Wahlplakat M6. Skizziere, wie die Christlichsozialen das Ereignis vom 15. Juli 1927 darauf darstellten. Beurteile, welche Wirkung es wohl auf Parteianhänger und welche auf politische Gegner gehabt haben könnte. Erläutere mögliche Funktionen dieses Wahlplakats. 7. Analysiere die Aussagen von M7 und M8 über die Bedeutung des Justizpalastbrandes. Bewerte, inwiefern dieses Ereignis als ein „Schlüsselereignis“ der Ersten Republik bezeichnet werden kann. M8 Kommentar in der „Arbeiter-Zeitung“ über die Seipel-Rede vom 27. Juli 1927: Die Rede des Pharisäers. „Verlangen Sie nichts vom Parlament und der Regierung, das den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde scheint.“ Also sprach Seipel, der Bundeskanzler ist und ein katholischer Priester! Keine Milde gegenüber den Schuldigen an den Unglückstagen, die natürlich nur unter den Demonstranten zu suchen sind, aber auch keine Milde gegenüber den Opfern! Die „Schuldigen“ in den Kerker, die Hinterbliebenen dem Hungertod: das ist die „Bitte“, die Seipel „noch am heutigen Tage hatte“. Fünfundachtzig Menschen hat die Polizei des Herrn Seipel an einem Tag getötet. Wieviel Frauen weinen um ihren Gatten, wieviel Kinder um ihren Vater, wieviel Eltern um ihren Sohn! Und wieviel Ernährer sind dahingerafft, wieviel Not ist da ausgesät worden! Den Hinterbliebenen Hilfe bringen? Unangebrachte Milde: das wäre „grausam“ für die Republik! (Zit. nach: Klusacek/Stimmer (Hg.), Dokumentation zur österreichischen Zeitgeschichte, 1918–1928, 1984, S. 448) „Denkt an den 15. Juli!“: Rudolf Ledl, Wahlplakat der Christlichsozialen Partei. Wien, 1930. Die Wiener „Arbeiterzeitung“ 1997 über den Brand des Justizpalastes: Er ist das Schlüsselereignis der Ersten Republik, die Wende zwischen Demokratie und Faschismus. An M5 M6 M7 Österreich I – die Erste Republik 47 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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