„Die Arbeitermörder freigesprochen“, Arbeiterzeitung, 15. Juli 1927: Titelseite der „Arbeiter-Zeitung“ vom 15. Juli 1927. Friedrich Austerlitz, Chefredakteur der „ArbeiterZeitung“, in einem Leitartikel vom 15. Juli 1927 über den Freispruch für die Täter von Schattendorf: Denn die Wahrheit, die aus dieser Freisprechung, die die ganze Rechtsprechung schändet, so erschütternd und aufreizend hervorgeht, ist die, daß Hakenkreuzler und Frontkämpfer, wenn sie auf Arbeiter schießen, wenn sie Sozialdemokraten ermorden, der Freisprechung anscheinend immer gewiß sein können. (…) Die bürgerliche Welt warnt immerzu vor dem Bürgerkrieg; aber ist diese glatte, diese aufreizende Freisprechung von Menschen, die Arbeit getötet haben, weil sie Arbeiter getötet haben, nicht schon selbst der Bürgerkrieg? Wir warnen sie alle, denn aus einer Aussaat von Unrecht, wie es gestern geschehen ist, kann nur schweres Unheil entstehen. (Zit. nach: derstandard.at/2000061314 173/Justizpalastbrand-Protokoll-einer-Katastrophe; 27.9.2017) Rede des Bundeskanzlers Ignaz Seipel in einer Parlamentsdiskussion anlässlich des Justizpalastbrandes, 27. Juli 1927 (Ausschnitt): Gestern hat uns die Trauer über die blutigen Ereignisse den Mund geschlossen. Heute aber müssen wir uns daran erinnern, dass unter den Verwundeten – Gott sei Dank nicht unter den Toten – auch die österreichische Republik ist. (…) Ich richte an die Opposition in diesem Hause im Namen der verwundeten Republik eine dringende Bitte: Ziehen Sie einmal den Trennungsstrich deutlich zwischen einer demokratischen Opposition und Beschützern von Revolten. Machen Sie das recht deutlich! (…) Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, was den Schuldigen gegenüber milde scheint, aber grausam wäre gegenüber der Republik. Verlangen Sie nichts, was ausschauen könnte wie ein Freibrief für solche, die sich empören. Verlangen Sie nichts, was Demonstranten und denen, die sich ihnen anschließen, um zu plündern und Häuser in Brand zu stecken, den Mut machen könnte, ein anderesmal wieder so etwas zu tun, weil ihnen ohnehin nicht viel geschehen kann. (Zit. nach: Klusacek/Stimmer (Hg.), Dokumentation zur österreichischen Zeitgeschichte, 1918 – 1928, 1984, S. 447) M2 M3 M4 Die Inhalte in diesem Abschnitt dienen dazu, Historische Methodenkompetenz zu entwickeln. Alle Materialien stehen im Zusammenhang mit einem für die Erste Republik wichtigen Ereignis, nämlich dem Brand des Justizpalastes 1927. Auf dieses Ereignis wird in unterschiedlichen historischen Quellen Bezug genommen, in Ausschnitten aus Zeitungsartikeln, in einer politischen Rede sowie in mehreren Bildern (Foto, Wahlplakat). Analysiert man diese Quellen, so ergeben sich aufgrund der speziellen Merkmale der jeweiligen Gattung unterschiedliche Ansätze zur Interpretation. Die Bedeutung des Brandes des Justizpalastes Der Brand des Justizpalastes hatte seine Vorgeschichte in den gewalttätigen Ereignissen von Schattendorf im Jänner 1927 (vgl. S. 45). Der Freispruch der drei rechtsgerichteten Frontkämpfer, welche tödliche Schüsse auf einen achtjährigen Buben und einen Erwachsenen abgegeben hatten, erfolgte aufgrund eines Urteils von Geschworenen. Es stand also in keinem Zusammenhang mit dem Justizpalast. Dennoch wurde dieser nach dem Freispruch von vielen Menschen aus der Arbeiterschaft als Symbol für eine politisch motivierte und ungerechte Rechtsprechung gesehen. Deshalb trafen sich dort am 15. Juli 1927 empörte Demonstrierende, und die Gewalt eskalierte. Der brennende Justizpalast, Foto, 15. Juli 1927: Der österreichische Historiker Gerhard Botz erforschte in seinem 2017 erschienenen Buch „Justizpalastbrand Wien, 15. Juli 1927“ mit Hilfe der Analyse von über 100 Fotos den Ablauf der Ereignisse und die Ursachen der Gewalt. M1 5. Im Fokus: Justizpalastbrand 1927 46 Kompetenztraining Historische Methodenkompetenz Gattungsspezifik von historischen Quellen für ihre Interpretation berücksichtigen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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