Menge schoss. 89 Menschen starben (unter ihnen vier Polizisten) und 1057 Menschen wurden verwundet. Statt nun eine Annäherung zu suchen, verschärfte sich die Konfrontation: Bundeskanzler Seipel weigerte sich, den bei der Demonstration Verhafteten Straferlass oder Strafmilderung zu gewähren. Von der Arbeiter-Zeitung wurde er daraufhin als „Prälat ohne Milde“ bezeichnet, und eine Welle von Kirchenaustritten setzte ein. „Korneuburger Eid“ der Heimwehr Die Sozialdemokraten boten nun Verhandlungen über die Abrüstung der „Selbstschutzverbände“ an. Das bürgerliche Lager war jedoch nicht bereit, auf die Heimwehr zu verzichten. Diese wurden politisch immer eigenständiger und übernahmen immer deutlicher die politischen Ziele Mussolinis, der sie mit Waffen und Geld versorgte. Am 18. Mai 1930 versammelten sich 800 Delegierte zur Generalversammlung der niederösterreichischen Heimwehr in Korneuburg. Der österreichische Bundesführer Richard Steidle verlas ein Grundsatzprogramm, auf das die Delegierten einen „heiligen Eid“ schworen: Q• Wir wollen Österreich von Grund auf erneuern! • Wir wollen den Volksstaat der Heimatwehren. • (…) • Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. • (…) Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat. • (…) • Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberalkapitalistische Wirtschaftsgestaltung. • (…) Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der neuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gut und Blut einzusetzen, er erkenne die drei Gewalten: den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, das Wort seiner Führer! (Der "Korneuburger Eid". Online auf: https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Schicksalsorte/Korneuburg_N%C3%96, 7.5.2018) Benenne die faschistischen Elemente des „Korneuburger Eides“. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erkläre die Rolle der beiden großen politischen Parteien in der Ersten Republik. Gehe auch auf die Selbstschutzverbände ein. 2. Skizziere die zunehmende Radikalisierung der Innenpolitik. Erläutere in diesem Zusammenhang auch die folgenden Begriffe bzw. Ereignisse: „Linzer Programm“, „Brand des Justizpalastes“, „Korneuburger Eid“. 3. Nimm Stellung zur Meinung, dass die Erste Republik ein „Lehrstück“ biete, wie verhängnisvoll eine radikalisierte Sprache in der politischen Auseinandersetzung sein kann. Schattendorf und der Brand des Justizpalastes Selbst in kleinen Orten organisierten die Wehrverbände Aufmärsche und provozierten die politischen Gegner. Am 30. Jänner 1927 marschierten Schutzbund-Abteilungen durch die burgenländische Gemeinde Schattendorf. Sie provozierten rechtsgerichtete Frontkämpfer, die in einem Gasthaus zusammensaßen. Diese schossen daraufhin auf den Demonstrationszug der Schutzbündler und töteten dabei einen Kriegsinvaliden und ein achtjähriges Kind. Die „Arbeiter-Zeitung“ berichtete am 31. Jänner 1927 über die Vorgänge in Schattendorf: QFür Sonntag, den 30. Jänner wurde von der Sozialdemokratischen Partei in Schattendorf für 4 Uhr nachmittags in Mosers Gasthaus eine Volksversammlung mit der Tagesordnung: Die politische Lage (…) einberufen. (…) Um etwa ½ 5 Uhr nachmittags, als die Versammlung zu Ende ging, sahen die Versammelten durch das Fenster die bereits vom Bahnhof einrückenden Schutzbundabteilungen. Plötzlich hörte man Schüsse fallen (…) plötzlich stürzte ein Schutzbündler (…) durch einen Kopfschuss von rückwärts erschossen, blutüberströmt zusammen (…) im selben Augenblick brachen ein achtjähriges Eisenbahnerkind und ein sechsjähriger Knabe im Blut zusammen. Das achtjährige Kind war getötet, das sechsjährige Kind schwer verletzt (…). (Zit. nach: Klusacek/Stimmer (Hg.), Dokumentation zur österreichischen Zeitgeschichte, 1918–1928, 1984, S. 432) Auch die „Reichspost“ beschrieb den Vorfall in Schattendorf: QDen Versuch der sozialdemokratischen Schutzbündler, die Frontkämpfer an ihrer erfolgreichen Werbetätigkeit zu hindern und eine Versammlung, die für gestern angesagt war, zu vereiteln, müssen zwei Menschen mit ihrem Leben und mehrere andere mit Verletzungen verschiedenen Grades bezahlen (…). Schattendorf und Mattersburg sind seit langem heißer Kampfboden (…). Und auf so vorbereitetem Boden hat man gestern zum letzten Streich ausgeholt, zur Verhinderung einer Frontkämpferversammlung. Man wollte das volle Fass zum Überlaufen bringen und es gelang (…). (Zit. nach: Klusacek/Stimmer (Hg.), Dokumentation zur österreichischen Zeitgeschichte, 1918–1928, 1984, S. 433) Analysiere die Zeitungsberichte: Beschreibe die Unterschiede in der Darstellung und versuche sie zu erklären. Ein Wiener Geschworenengericht sprach die Frontkämpfer frei. Der leidenschaftliche Protest der ArbeiterZeitung zeigte Wirkung: Die Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter zogen spontan zum Justizpalast und setzten ihn in Brand. Sozialdemokratische Parteiführer versuchten erfolglos die empörte Menge zu beruhigen. Daraufhin setzte Polizeipräsident Schober bewaffnete Polizei ein, die in die Österreich I – die Erste Republik 45 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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