Albert Hilscher, Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes in Eisenstadt. Foto, 1932. „Linzer Programm“ der Sozialdemokratie Die sozialdemokratischen Parteifunktionäre beschlossen auf ihrem alljährlichen Parteitag das „Linzer Programm“ (1926). Es fasste die Ideen des „Austromarxismus“ zusammen und war deutlich von der Sprache des radikalen Flügels der Partei geprägt: QDie Sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die Eroberung der Herrschaft in der demokratischen Republik, nicht um die Demokratie aufzuheben, sondern um sie in den Dienst der Arbeiterklasse zu stellen, den Staatsapparat den Bedürfnissen der Arbeiterklasse anzupassen und ihn als Machtmittel zu benützen, um dem Großkapital und dem Großgrundbesitz die in ihrem Eigentum konzentrierten Produktions- und Tauschmittel zu entreißen und sie in den Gemeinbesitz des ganzen Volkes zu überführen. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie ausüben. Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen. (Zit. nach: Frass, Quellenbuch zur österreichischen Geschichte 4, 1967, S. 9 ff.) Arbeite die Ziele der Sozialdemokratie in diesem Programm heraus. Erkläre den Begriff „Mittel der Diktatur der Arbeiterklasse“. Erörtere, welchen Eindruck dieses Programm auf den politischen Gegner gemacht haben könnte. Otto Bauer erklärte noch auf dem Linzer Parteitag, die angedrohte Gewalt sei rein defensiv zu verstehen. Trotzdem glaubte die bürgerliche Seite nun die wahren Absichten der Sozialdemokratie zu kennen: den gewaltsamen Umsturz. Auch die sozialdemokratische Parteibasis nahm die Worte des „Linzer Programms“ ernst. Beide Seiten rüsteten für den zu erwartenden Kampf. Albert Hilscher, Heimwehraufmarsch in Wiener Neustadt. Foto, 1928. Politische Gegensätze verhärten sich Die Erste Republik war ab 1920 zunehmend geprägt von der politischen Auseinandersetzung zwischen den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten. Die Christlichsozialen sahen in Vaterland, Glaube und in der bestehenden Gesellschaftsordnung ihre höchsten Werte. Die Sozialdemokraten strebten eine von der Vernunft bestimmte klassenlose Gesellschaft an. Die beiden Parteien standen sich zunehmend feindlich gegenüber. Es kam so zu einer starken Radikalisierung der gesamten Innenpolitik. Die fanatische Sprache der Politiker wurde von Anhängerinnen und Anhängern der Gegenparteien wörtlich genommen. Die Spaltung des österreichischen Volkes in zwei feindliche Lager gewann dadurch noch an Gefährlichkeit, dass sich beide Seiten auf uniformierte und bewaffnete „Selbstschutzverbände“ stützten. Heimwehr und Republikanischer Schutzbund Die „Selbstschutzverbände“ gehen auf die Umbruchtage des Jahres 1918 zurück: Bewaffnete Bauern- und Arbeiterwehren sollten die Ordnung aufrechterhalten. Sie waren auch beim Kampf um die Grenzen im Einsatz. Nach dem Ende der Abwehrkämpfe behielten sie zumeist ihre Waffen oder versteckten sie in geheimen Lagern. Die Sozialdemokratie gründete 1923 den „Republikanischen Schutzbund“. Dieser brachte es bis auf 80 000 Mitglieder. Die bürgerlichen Gruppen fürchteten die gute Organisation der Sozialdemokraten. Deren Anhänger wohnten und arbeiteten in den Ballungszentren und konnten daher rasch mobilisiert werden. Auf bürgerlicher Seite wurde 1924 die „Heimwehr“ bzw. der „Heimatschutz“ gegründet. Beide Gruppierungen waren nicht direkt an eine Partei angelehnt. Sie sollten aber ein Gegengewicht zum Republikanischen Schutzbund bilden. Die Heimwehren waren nach Bundesländern organisiert. Sie waren aber nicht so straff geführt wie der Republikanische Schutzbund und kamen auf etwa 120 000 Mann. 4. Die Radikalisierung der Innenpolitik 44 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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