wurde die „Wiener Richtung“ der Partei bestimmend: Sie trat schon als Opposition im „Roten Wien“ viel kämpferischer gegen die Sozialdemokraten auf. Dieser Gruppe gehörte auch der bedeutendste Politiker der Christlichsozialen Partei an: Ignaz Seipel. Er war Universitätsprofessor und Prälat (= Titel für einen höheren Geistlichen). Die kleinen Parteien und Koalitionsregierungen Neben der Christlichsozialen Partei gab es noch zwei kleine „bürgerliche Parteien“: Aus verschiedenen deutschnationalen Gruppen heraus gründeten sich 1920 die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund (eine liberale Bauernpartei). Für beide Parteien war das politische Hauptziel der Anschluss an das Deutsche Reich. Bei Wahlen erzielten sie nur geringe Stimmenanteile. Mit den von 1920 bis 1933 regierenden Christlichsozialen gingen sie aber verschiedene Koalitionen („Bürgerblock“) ein. Die 1918 gegründete Kommunistische Partei blieb zahlenmäßig klein und hatte wenig politischen Einfluss. Bei den Wahlen von 1920 wurden die Christlichsozialen stärkste Fraktion. Sie stellten von nun an den Bundeskanzler. Die Koalition mit den Sozialdemokraten wurde nicht mehr erneuert. Die Sozialdemokraten blieben als knapp zweitstärkste Partei (bei den Wahlen 1930 erreichten sie sogar die relative Mehrheit) bis zum Ende der Ersten Republik 1934 von der Regierungsteilnahme ausgeschlossen. Moderne Sozialgesetze Die „rot-schwarze“ Koalitionsregierung beschloss zwischen 1918 und 1920 viele Sozialgesetze. Sie bilden die Grundlage für den Sozialstaat, der in der Zweiten Republik bis in die Gegenwart weiter ausgebaut wurde. Dazu zählen u. a.: ––die Einführung des achtstündigen Normalarbeitstages, des Kollektivvertrages, der Arbeitslosenversicherung, des Arbeitsurlaubes, der Betriebsräte; –– Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche; –– Errichtung der Kammern für Arbeiter und Angestellte. Die Verfassung von 1920/1929 Die Republik brauchte auch eine republikanische Verfassung. Sie wurde unter der Leitung des Wiener Völkerrechtsprofessors Hans Kelsen ausgearbeitet und 1920 von der Nationalversammlung beschlossen. Dieses Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) blieb mit Novellierungen (Abänderungen) in den Jahren 1925 und 1929 bis zur Proklamation des Ständestaates (1. Mai 1934) gültig. 1945 wurde sie wieder in Kraft gesetzt und gilt, ergänzt durch viele neue Verfassungsbestimmungen, bis heute. Zu den wesentlichen Prinzipien dieser Verfassung zählen: die Trennung der drei Staatsgewalten, ihre Aufteilung zwischen dem Gesamtstaat und den Bundesländern sowie die Sicherung der Demokratie und des Rechtsstaates. Die Sozialdemokratische Partei Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde die Sozialdemokratie in Österreich erstmals politisch bedeutend. Ihre ideologische Grundlage bildete die Lehre von Karl Marx. Innerhalb der Partei existierten zwei Richtungen: Karl Renner, der Führer des gemäßigten Flügels, war zu einer Zusammenarbeit mit allen demokratischen Parteien bereit. Er wollte die Lage der Arbeiterschaft vor allem durch weitreichende Sozialgesetze verbessern. Otto Bauer als Führer des radikalen Flügels strebte eine grundlegende Änderung der Gesellschaftsordnung an. Dazu entwickelten er und andere innerhalb dieser Gruppierung die Lehren von Karl Marx weiter. Sie wurden deshalb auch als „Austromarxisten“ bezeichnet. Sie befürworteten die demokratische Regeln in der politischen Auseinandersetzung und akzeptierten Gewalt nur als letztes Mittel zur Erhaltung der Staatsmacht. Otto Bauer lehnte die Zwangsformen des russischen Kommunismus ab. Er war aber auch gegen die Beteiligung an einer Regierung unter der Führung bürgerlicher Parteien. Die Christlichsoziale Partei In ihren Anfangszeiten war die Christlichsoziale Partei stark sozial engagiert. Deswegen konnte sie auch in Konkurrenz mit den Sozialdemokraten Anhängerinnen und Anhänger in der Arbeiterschaft gewinnen. Unter dem Einfluss der Gewerbetreibenden jedoch verwandelte sie sich in eine bürgerlich-konservative Partei. Wie in anderen Parteien, gab es auch bei den Christlichsozialen starke antisemitische Strömungen. Viele Funktionäre kamen aus dem katholischen Hochschul- und Vereinswesen; unter ihnen gab es auch eine große Zahl von Priestern. Auch dies verschärfte die Gegnerschaft zu den Sozialdemokraten, die häufig kirchenkritisch eingestellt waren. Die Wählerschaft der Partei waren vor allem Bäuerinnen und Bauern sowie Gewerbetreibende. Aber auch Arbeiterinnen und Arbeiter, besonders in Kleinbetrieben beschäftigte, wählten christlichsozial. In den 1920er Jahren Der „Karl-Marx-Hof“ in Wien. Foto, 2008. Der soziale Wohnbau des „Roten Wien“ wurde in der Zwischenkriegszeit für Europa zum Vorbild. 2. Parteien – Verfassung – Sozialgesetzgebung – Wirtschaftskrisen 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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