einen Vergleich mit den stalinistischen Massenmorden relativiert werden könnte. Gegenwärtig untersuchen und diskutieren Historikerinnen und Historiker die Frage, wie totalitär der moderne politische Rechts- und Linksextremismus und der Islamismus sind. Allgemeinsprachliche Definition des Begriffes „total“ im Duden-Wörterbuch: to|tal [Adj.] ganz, gänzlich, vollständig [frz., „ganz u. gar, vollständig, Gesamt…“ <mlat. totalis „gänzlich“ <lat. totus „ganz, in vollem Umfang“] „Merkmale des totalitären Staates“, Zusammenstellung der Schweizer „Kompetenz- und Wissens-Schule“ Olten (2016): Viele totalitäre Staaten (…) weisen (…) bestimmte gemeinsame Merkmale auf, z. B.: • Eine alles durchdringende Ideologie, die nicht auf kritisches Bewusstsein, sondern auf Überzeugung setzt, wie zum Beispiel der Nationalsozialismus, teilweise der Marxismus-Leninismus, und auf die Schaffung eines neuen Menschen. • Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft (Volksgemeinschaft, Klassenlose Gesellschaft, Diktatur des Proletariats), nach dem Grundsatz: „Gemeinsinn geht vor Eigennutz!“; oder: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ (Nationalsozialismus). Dieser Kollektivismus bedingt den Verlust der persönlichen Freiheit (Nationalsozialismus). • Keine Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive und Judikative sind nicht unabhängig und getrennt voneinander, sondern „liegen in der Hand“ des Diktators oder der herrschenden Partei. • Überwachung: Der Machthaber (also der Diktator oder die Partei) versucht, die Bevölkerung seines Staates zu „erfassen“, so dass dem Einzelnen kein Privatleben und kein Freiraum mehr bleibt. (…) • Keine bürgerlichen Freiheiten bzw. die Missachtung der Menschenrechte, keine Meinungsfreiheit, keine Medienfreiheit, de facto keine Religions- und Gewissensfreiheit, keine Freiheit der Kunst und Lehre. Das Pressewesen wird weitestgehend durch den Diktator bzw. die herrschende Partei beeinflusst. (…) • Spitzeltum, Geheimdienst, Geheimpolizei bzw. politische Polizei, willkürliche Verhaftung und Repression der Bevölkerung sollen jedes unabhängige Denken im Keim ersticken und die Menschen einschüchtern. • Oft auch Konzentrationslager, Arbeitslager wie z. B. das sowjetische Lagersystem Gulag, Geheimgefängnisse bzw. Folter von Häftlingen. (Merkmale des totalitären Staates. Online auf: http://www.kwschulen. ch/Lernlandschaften/06_Zeit/2.Weltkrieg/Z_2.WK_Z_1.pdf, 3. 10. 2017) M1 M2 Wichtige Ziele im Fach „Geschichte und Politische Bildung“ sind das Lernen von historischen Begriffen und das Weiterentwickeln von fachspezifischen Konzepten wie „Macht“, „Herrschaft“, „Zeit“ usw. In der Alltagssprache haben diese Begriffe meistens mehrere Bedeutungen und können in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet werden. Auch verändern manche Begriffe und Konzepte im Laufe der Zeit ihre Bedeutung. Dieses Kapitel unterstützt dich dabei, die Begriffe „Totalitarismus“, „Faschismus“, „Nationalsozialismus“, „autoritäre Systeme“ und „politische Religion“ mit Hilfe von Lexika und Fachliteratur zu klären, zu vergleichen und zu analysieren sowie sachlich richtig anzuwenden. Totalitäre und autoritäre Systeme Der Begriff „Totalitarismus“ tauchte erstmals 1923 zur Bezeichnung des von Mussolini geschaffenen Herrschaftssystems auf. Während die Antifaschisten mit dem Begriff vor einer absolutistischen Herrschaft warnen wollten, besetzten die Faschisten den Begriff positiv. Im Deutschen Reich sprachen die Nationalsozialisten von einem „totalen Staat“. Totalitäre Systeme haben keine demokratischen Standards. Sie versuchen, alle politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bereiche im Staat zu bestimmen. Oft ist mit einer totalitären Herrschaft der Anspruch verbunden, entsprechend einer bestimmten Ideologie einen „neuen“ Menschen zu formen. Als am stärksten ausgeprägte Systeme von Totalitarismus gelten der Nationalsozialismus, der italienische Faschismus und der Stalinismus. Zu autoritären Systemen zählen sowohl kommunistische wie das Jugoslawien unter Tito als auch faschistische, z. B. der österreichische Ständestaat. In autoritären Systemen gibt es zwar gewisse Freiheiten für Bürgerinnen und Bürger, aber auch hier unterdrücken ihre Regierungen politisch Andersdenkende. Beispiele für heutige totalitäre bzw. autoritäre Staaten sind Nordkorea, China, Kuba und Saudi-Arabien. Das politische Gegenmodell dazu ist der demokratische Rechtsstaat. Seine wesentlichen Merkmale sind die Gewaltenteilung und eine Verfassung, in der die Freiheit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und deren Grundrechte festgeschrieben sind. Totalitarismus-Theorie Die Totalitarismus-Theorie vergleicht die Systeme des Faschismus und des Stalinismus. Sie geht davon aus, dass die beiden Ideologien zahlreiche gemeinsame Merkmale aufweisen. Der deutsche Politikwissenschafter Eric Voegelin vertrat die Ansicht, dass totalitäre Bewegungen selbst religiösen Charakter angenommen hätten. Er wies z. B. auf die Rolle des „Führers“ als „Erlöser“ und auf das Erlösungsversprechen im Nationalsozialismus und anderen totalitären Systemen hin. Die Totalitarismus-Theorie blieb nicht unwidersprochen: In den 1980er Jahren entwickelte sich in Deutschland darüber ein Historikerstreit. Manche Wissenschafterinnen und Wissenschafter lehnten nämlich einen Vergleich dieser politischen Systeme überhaupt ab. Einige von ihnen warnten zum Beispiel davor, dass das in der Geschichte einzigartige Verbrechen des Holocausts durch 8. Begriffe und Konzepte: „Faschismus“ und „Totalitarismus“ 30 Kompetenztraining Historische Sachkompetenz Unterschiedliche Verwendung von Begriffen/Konzepten in Alltags- und Fachsprache erkennen sowie deren Herkunft und Bedeutungswandel beachten Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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