Jugendforschung prägte den Begriff der „Subkultur“. Damit sind Gruppen Jugendlicher gemeint, die zwar arbeiten und sich einigermaßen an die Rechtsnormen halten, aber einen auffälligen bis provokativen Lebensstil – auf der Straße – demonstrieren, der der Erwachsenenwelt als sittenwidrig, anstößig und verachtenswürdig erscheint. Sie eckten in einer Nachkriegsgesellschaft der disziplin- und unterordnungsgewohnten Eltern an, die sich in den Wiederaufbau stürzten und dabei die Vergangenheit zu verdrängen suchten. Sie hatten „Tabuzonen“ aufgebaut, in die die Halbstarken einbrachen. Die Erwachsenenwelt nannte sie „Halbstarke“, weil sie sie als „Unfertige“ abwertete und ihnen die Selbständigkeit absprach; als Teil der ehemaligen Hitlerjugend hatte sie selber keinen Begriff von „Jugend“. (…) Die Alltagswelt war damals aber schnell zu einer „amerikanisierten“ Konsumwelt als Mehrheitskultur geworden. Insofern sah die Jugendforschung der 1950er Jahre nicht die provokative Minderheit der „Halbstarken“, sondern die konsumierende Mehrheit als prägend für das damalige Jugendbild. Dieses wurde von einer der ersten repräsentativen deutschen Jugendstudien als „skeptische Generation“ bezeichnet: unpolitisch, weil politischen Aufforderungen gegenüber skeptisch, pragmatisch, an die Erwachsenenwelt vorauseilend angepasst. (Böhnisch, Jugendbilder und Jugenddiskurse des 20. Jahrhunderts bis heute, 2015, S. 23) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite anhand der drei Literaturstellen M2, M3 und M4 die Merkmale heraus, mit denen die „Halbstarken“ beschrieben werden. Untersuche, inwiefern sich M2, M3 und M4 bezüglich der einzelnen Merkmale gleichen und wo sie sich unterscheiden. Liste die Entsprechungen und Unterschiede auf. 2. Untersuche, ob – und wenn ja, welche – Begründungen in M2, M3 und M4 für Eigenschaften bzw. Verhalten der „Halbstarken“ angeführt werden. 3. Analysiere die Gewichtung der einzelnen Merkmale der „Halbstarken“ anhand der verwendeten Sprache und der Ausführlichkeit der Beschreibungen. Beurteile die Ergebnisse daraufhin, wie sich dies auf die jeweilige Darstellung der „Halbstarken“ auswirkt. 4. Analysiere M2, M3 und M4 daraufhin, wie es ihnen gelingt, die Darstellung der einzelnen Merkmale in eine gut nachvollziehbare Abfolge zu bringen. 5. Vergleiche die Beschreibungen in M2, M3 und M4 mit dem Foto M1. Zeige Parallelen und Unterschiede auf. 6. Nimm anhand deiner Arbeitsergebnisse Stellung zu den schriftlichen Darstellungen. Lege dar, welche davon du bevorzugst. Gib deine Gründe dafür an (z. B. „M2 ist für mich schlüssiger“, „M3 belegt alle Aussagen“ o. Ä.). 7. Nimm zu den Einstellungen der Jugendgeneration der 1950er Jahre, wie sie in den Darstellungen beschrieben wird, Stellung und setze sie in Beziehung zu deinen Erfahrungen in den dir vertrauten jugendlichen Lebenswelten. 8. Befrage deine Großeltern über die Jugendgeneration der „Halbstarken“. Kurt Luger, Michael Martischnig: Die konsumierte Rebellion, 1991: Das Lebensgefühl eines Teils der Arbeiterjugend, ihre sprachlose Distanz zur herrschenden Mittelschichtkultur und zum kleinbürgerlichen „mainstream“ fand in den fünfziger Jahren symbolischen Ausdruck im Konsum der populären US-amerikanischen Musik. Der Rock ’n’ Roll – er war für die USJugendlichen Protest und „fun“ zugleich – bildete für die österreichischen Jugendlichen mit den einschlägigen Filmen zusammen eine quasi importierte Protestkultur. 1954 lief der Film „Der Wilde“ mit Marlon Brando in der Hauptrolle in Wien an, ein Jahr später kam „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean. Damit hatten einige wesentliche Elemente dieser jugendspezifischen Kommerz- und Protestkultur die von den Siegermächten besetzte Hauptstadt erreicht. Die Begeisterung männlicher Jugendlicher für Blue Jeans war geweckt, ein Motorrad-Kult entstand, und die Jugendlichen stürmten in die Filme mit den neuen Idolen. 1956 und 1957 erreichten die Aktivitäten der sogenannten Halbstarken ihren ersten Höhepunkt, wobei v. a. die Zeitungen meist nicht zwischen Jugendkriminalität – die es in beträchtlichem Ausmaß auch schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegeben hatte – und Halbstarken-Umtrieben unterschieden. Jugendliche „Platten“ störten zusehends die öffentliche Ordnung, begingen Einbrüche, ließen Motorräder und Roller mitgehen, machten Spritzfahrten um Häuserblocks, montierten Bestandteile ab und ließen die Fahrzeuge dann stehen. Die Ausschreitungen bei Rock ´n´ Roll-Konzerten und nach Filmen in Wien und einigen Landeshauptstädten sowie Raufereien zwischen Plattenmitgliedern führten zu einer jugendsoziologischen Enquete im Wiener Polizeipräsidium. (…) Es waren in erster Linie proletarische Jugendliche, die freie Handlungsräume forderten und die Bevormundung durch Erwachsene zurückdrängen wollten. Ihr spezifisches Erscheinungsbild bestand aus Motorrädern, Jeans, Lederjacken und langem fettigen Haar mit Entenschwanz bei Burschen, aus aufreizenden, die Körperkurven unterstreichenden Jeans, schwingenden Röcken mit breiten Gürteln, toupiertem, oft gefärbtem Haar bei Mädchen. (Luger/Martischnig, Die konsumierte Rebellion, 1991, S. 105 f.) Lothar Böhnisch: Jugendbilder und Jugenddiskurse des 20. Jahrhunderts, 2015: Erst in den 1950er Jahren ist von „der Jugend“ wieder die Rede. Erneut taucht der Begriff der „Halbstarken“ auf. Nietenhosen, Elvis-Rolle, Rock ‘n‘ Roll, Zigaretten, Lederjacken, Mopeds, aggressive Sprache. Es waren insgesamt gar nicht so viele, etwa fünf Prozent der Jugendlichen, so die damaligen Schätzungen. Aber ihre Wellen breiteten sich – freilich abflachend – vor allem in der proletarischen Großstadtjugend aus, wobei Teile der Arbeiterjugendlichen (besonders die organisierten) dazu auf Distanz gingen. Die M3 M4 Politische und soziale Welten nach 1945 165 Aufbau von Darstellungen der Vergangenheit analysieren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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