Jugend im austrofaschistischen Ständestaat Im austrofaschistischen Ständestaat wurden zunächst die Hitlerjugend (1933) und dann die sozialistischen Jugendverbände (1934) verboten und damit in die Illegalität abgedrängt. Bestehen blieben einstweilen nur das bündische und katholische Jugendvereinswesen. Die Frage der Organisierung der Jugend entwickelte sich zu einem beherrschenden Thema der Innenpolitik. Das führte schließlich 1936 zur Gründung der Staatsjugendorganisation „Österreichisches Jungvolk“ (ÖJV) mit dem Ziel, ein österreichisches Nationalbewusstsein zu stärken. L (Doch) in der Jugendpolitik der Staatsjugend zeigten sich Tendenzen einer immer deutlicheren „äußeren“ und „inneren“ Faschisierung (= Eindringen faschistischer Tendenzen). Erstere durch die (geplante) Inkorporation (= Eingliederung) so gut wie aller noch bestehenden legalen Jugendverbände – einschließlich der katholischen – in den ÖJV. Letztere etwa durch die radikale Betonung des Führerprinzips oder – zumindest in den ÖJV Burschengruppen – die völlige Zurückdrängung der vorgesehenen „sittlich-religiösen“ Erziehung zugunsten einer einseitigen Ausrichtung auf Sport und vormilitärische Erziehung. (Pammer, Austrofaschismus und Jugend, 2013, S. 402) Bei seiner Auflösung im Jahr 1938 verfügte das „Österreichische Jungvolk“ über rund 350 000 Mitglieder. Daneben etablierten sich speziell in Wien Gruppen von Jugendlichen, die als „Schlurfs“ bezeichnet wurden und die sich diesen politischen Zuordnungen widersetzten: L Die zum Großteil aus dem Arbeitermilieu stammenden männlichen Jugendlichen setzten sich von anderen Arbeitern und Hilfsarbeitern ab. Sie hatten ihren eigenen Stil kreiert – elegant und sauber, lässig und modern. Die langen Haare reichen bis knapp oberhalb des Kragens, werden aus der Stirn gekämmt und mit Pomade behandelt. Die Kleidung besteht aus einem breiten und überlangen Sakko, aus Hemd, Krawatte und einer langen, unten sehr breiten Hose mit verstärktem Bug und Stulpen. Sie gaben sich lässig und gelangweilt und traten in der Regel in Gruppen („Platten“) auf. (Waechter, Der strukturelle Widerstand der Schlurfs, 2015, S. 156 f.) Doch das ursprüngliche Ziel, den austrofaschistischen Ständestaat und somit die Unabhängigkeit Österreichs im Rahmen der Jugendarbeit zu sichern, war nicht erreicht worden. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurden nur mehr die NS-Jugendorganisationen erlaubt („Jungvolk“, „Hitlerjugend“/ HJ; „Jungmädel“, „Bund Deutscher Mädel“/BDM). Ein ehemaliges ÖJVMitglied beschreibt rückblickend den Übergang zur Hitlerjugend: QAls ich in die dritte Volksschulklasse ging, sagt Bernhard, hat man in der Schule für den Beitritt zum Jungvolk (ÖJV; Anm. d. A.) geworben. Wir sind dann auch fast alle beigetreten, und man hat uns graue Hemden gegeben, zu den grauen Hemden haben wir grün-weiß gemusterte Krawatten getragen. Ich erinnere mich daran, dass wir irgendwo in einem Raum gesessen sind und Volkslieder gesungen haben, man hat das Heimabend genannt. Der Übergang von den grauen (des ÖJV; Anm. d. A.) zu den braunen Hemden (der HJ; Anm. d. A.), sagt Bernhard, sei dann wie selbstverständlich vor sich gegangen, er habe es jedenfalls so in Erinnerung, auf einmal habe ich statt eines grauen ein braunes Hemd getragen und statt der grün-weißen Krawatte ein schwarzes Halstuch mit einem hellbraunen Lederknoten. Die Heimabende seien die gleichen gewesen, die Volkslieder seien dieselben gewesen, einige andere Lieder seien freilich dazu- Werbeplakat des „Österreichischen Jungvolks“ (ÖJV). Offset-Druck, 1936. Der Schlurf, Feindbild auch noch nach dem Krieg. Karikatur, ursprünglich veröffentlicht in: „Neues Österreich“. Wieder veröffentlicht in: Bayer/Ladurner: „Im Swing gegen den Gleichschritt“, 2011. Vergleiche die Karikatur mit der verbalen Beschreibung oben. Arbeite die Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Jugend in Österreich 161 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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