Das globalisierte Verbrechen: Bedrohlich für die Nationalstaaten sind aber auch die globalen Verbindungen des organisierten Verbrechens – vom Menschenhandel und Drogenhandel über illegale Geschäfte mit Waffen und Kunstschätzen bis hin zur „Mutter aller Verbrechen“, der Geldwäsche. (Nach: Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Band 1, 2001, S. 85 ff. und 275 f. sowie Beck, Politik der Globalisierung, 1998, S. 20 ff.) Angus Deaton, britisch-US-amerikanischer Nobelpreisträger für Wirtschaft, beschreibt die Globalisierung als eine Entwicklung mit vielfältigen und teilweise gegenläufigen Folgen: L Die Globalisierung hat mit dem Rückgang der globalen Armut seit 1980 die bisher schnellste Entwicklung des Lebensstandards in der Welt insgesamt gebracht. Dies hat dazu geführt, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als einem Dollar pro Tag lebt, von 40 auf 14 Prozent gesunken ist. Obgleich die Armutsquote auch in anderen Regionen der Welt abgenommen hat, ist der Rückgang der absoluten Zahlen an armen Menschen weitgehend auf das rasche Wachstum Chinas und Indiens zurückzuführen. (…) Weil ein Großteil der Weltbevölkerung zurückgelassen wurde, fällt die Ungleichheit in der heutigen Welt unermesslich viele größer aus als vor 300 Jahren. (…) Länder, die vor nicht allzu langer Zeit noch arm waren, wie China, Indien, S-Korea oder Taiwan, haben sich die Globalisierung zunutze gemacht und sind rasch gewachsen, viel schneller als die heutigen reichen Länder. Gleichzeitig haben sie sich von noch ärmeren Ländern abgesetzt, viele davon in Afrika, was neue Ungleichheiten geschaffen hat. Mit sinkender Wachstumsgeschwindigkeit klafft auch die Einkommensschere zwischen den Menschen innerhalb der meisten Länder immer weiter auseinander. Ein paar Glückliche haben ungeheure Vermögen angehäuft und frönen einem Lebensstil, der selbst die größten Könige und Kaiser in den Schatten stellt. Das Nationaleinkommen steigt, aber wir sehen wenig oder kein Einkommenswachstum bei der durchschnittlichen Familie. Die Steuer- und Umverteilungssysteme waren anscheinend nicht geeignet, die jüngste Zunahme der Ungleichheit zu verhindern. (Nach: Deaton, Der große Ausbruch, 2017, S. 71, 34, 22, 323, 332) L Wenn das vorhandene Wachstum nicht halbwegs gerecht verteilt wird, entstehen soziale Spannungen. Die Benachteiligten halten vielleicht still, solange sie wenigstens etwas bekommen, doch wenn ihr Einkommen stagniert oder schrumpft, werden sie unruhig. Im Idealfall führt Unzufriedenheit zu gesellschaftlichem Wandel. Doch wenn das politische System nur die Bedürfnisse der Reichen berücksichtigt, gerät die politische Stabilität in unmittelbare Gefahr. (Deaton, Gespaltene Gesellschaft. In: Spektrum der Wissenschaft 5/17, S. 81) Globalisierung – ein vielschichtiges Phänomen „Globalisierung“ ist das Schlagwort für eine weltweite Entwicklung, die seit den 1970er Jahren immer deutlicher beobachtbar wurde. Seit dieser Zeit kam es zu einer beispiellos engen Verflechtung zwischen den Ländern der Welt. Diese Veränderungen betreffen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Der in den USA lehrende spanische Soziologe Manuel Castells ordnet der Globalisierung folgende Merkmale zu: Globale Wirtschaft: Sie besitzt die Fähigkeit, aufgrund der neuen Kommunikationstechnologien in Sekundenbruchteilen Informationen auszutauschen und solcherart in „Echtzeit“ auf globaler (= weltweiter) Ebene zu funktionieren. Globale Finanzmärkte: Sie nützen die Möglichkeit, im Internet innerhalb von Sekunden riesige Geldtransaktionen über den gesamten Globus abzuwickeln. Der Kapitalmarkt hat sich dabei verselbstständigt. Der Devisenhandel stieg von ca. 590 Mrd. Dollar pro Tag im Jahr 1989 auf geschätzte 4 000 Mrd. pro Tag im Jahr 2010. Eine Folge davon ist, dass ein Großteil dieser Gelder – man schätzt 90 Prozent – nichts mehr mit der Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen zu tun hat. Das Geld ist vielmehr selbst zur Ware geworden. Es fließt in riesigen Mengen in Einrichtungen, die in kurzer Zeit hohe Gewinne versprechen. Abbau von Handelsschranken: Dadurch erhofft man sich eine zusätzliche Dynamik des Handels und der Produktion (Liberalisierung) und auf solche Weise einen Wohlstandsgewinn für alle. Deregulierung: Mit der Liberalisierung nach außen geht ein Abbau innerstaatlicher Vorschriften für die Wirtschaft einher. Transnationale Konzerne: Ihre Stellung ist beherrschend geworden. Diese Konzerne sind nicht mehr nur an einen Ort gebunden. Sie handeln multilokal bzw. transnational. Der Abbau von zwischenstaatlichen Hindernissen erleichtert es ihnen, ihre Produktion in Länder mit niedrigen Lohnkosten, geringen Umweltstandards oder sozialen Auflagen zu verlegen. Sie können damit trotz zusätzlicher Transportkosten billiger produzieren als in den entwickelten Industrieländern. Dort gehen dadurch Arbeitsplätze verloren. Da aufgrund der Informationstechnologien die Entfernungen keine bedeutende Rolle mehr spielen, können solche Betriebe als „Global Players“ grenzüberschreitend handeln. Sie werden somit immer unabhängiger von Nationalstaaten. Nationalstaaten: Ihre Regierungen und Parlamente verlieren gegenüber den globalen Konzernen an Macht und Entscheidungskompetenzen. Die globalen Konzerne können die nationalen Regierungen gegeneinander ausspielen – um niedrigere Steuertarife, bessere Unterstützungsleistungen bei Investitionen und Neugründungen sowie Lockerung der Arbeitszeit usw. durchzusetzen. 4. Globalisierung und Gesellschaft 146 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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