Zeitbilder 7, Schülerbuch

Datenauswertung – Interviewanalyse Um die Datenauswertung möglichst objektiv, d. h. transparent und für andere nachvollziehbar, zu gestalten, sind die folgenden Regeln einzuhalten. 1. Ausgangspunkt sind die übergeordneten Leit-Fragestellungen: Warum hat dieses historische Ereignis für die interviewte Person diese Bedeutung erlangt? Was an dem, was die interviewte Person an dem historischen Ereignis damals für besonders wichtig gehalten hat, ist nach ihrer Einschätzung auch für die gegenwärtige politische Situation von Bedeutung? 2. Das gesamte Interview wird Satz für Satz auf diese Fragestellungen hin durchgegangen. Inhaltstragende Teile (solche, die sich auf die Leitfragen beziehen) werden unterstrichen, ausschmückende Teile werden gestrichen. 3. Die unterstrichenen Teile werden jeweils in eine grammatikalische Kurzform gebracht. Aus: „Man kann sich heute die Überraschung für mich, dass sich die Sowjetunion damals einfach aufgelöst hat, glaube ich, einfach gar nicht mehr vorstellen.“ wird: „Die Auflösung der Sowjetunion kam für mich überraschend.“ (= Paraphrasierung) 4. In einem neuerlichen Durchgang werden inhaltsgleiche oder nichtssagende Paraphrasen gestrichen. 5. Im Text verstreut vorkommende, aber sich aufeinander beziehende Paraphrasen werden zusammengefasst (= gebündelt) und unter Bezugnahme auf die Zeilennummer ebenfalls nummeriert. 6. Die gebündelten Paraphrasen beziehen sich nun auf die einzelnen im Interview angesprochenen Sachverhalte. Für diese grundlegenden Sachverhalte sind nun entsprechende allgemein gehaltene Benennungen (= Kategorienbezeichnungen) nötig. Sie sollen das bezeichnen, was in den gebündelten Paraphrasen zum Ausdruck kommt. 7. Diese übergeordneten Bezeichnungen werden jetzt auf die eingangs formulierten leitenden Fragestellungen bezogen. Einzelne besonders aussagekräftige Paraphrasen dienen als wörtliche Zitate zur Veranschaulichung der wesentlichen Aussagen. Sie werden zu den Fragestellungen in Beziehung gesetzt und unter Angabe der Zeilennummern zitiert. 8. Das Ergebnis wird schließlich mit der interviewten Person daraufhin überprüft, wie sehr es ihren Vorstellungen entspricht, wo also Übereinstimmung besteht. Ebenso wird geklärt, wo aufgrund der Analyse und Interpretation Unterschiede gegeben sind. Diese Punkte sind in einem gemeinsamen Gespräch mit entsprechenden Argumenten von beiden Seiten zu klären. 9. Auf dieselbe Weise sind auch die Interviews mit den anderen Personen zu führen und auszuwerten. 10. Über den Vergleich der Auswertung von mehreren Interviews lassen sich möglicherweise allgemeine Einsichten dazu gewinnen, was bei (bestimmten) historischen bzw. politischen Ereignissen bestimmte persönliche Bedeutsamkeiten hervorruft. (Vgl. dazu die Darstellungen zur zusammenfassenden Inhaltsanalyse von Philipp Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlage und Techniken. 11. aktualisierte Auflage. Weinheim und Basel 2010, bes. S. 67 ff.) Projektvorbereitung Vorbereitend wird mit der zu befragenden Person das Thema des Interviews geklärt, damit beiden Gesprächspartnern Zeit bleibt, sich fachlich gründlich zu informieren bzw. die eigenen Erinnerungen aufzufrischen. Über welches historische Ereignis ist das Interview zu führen (Thema; siehe Fragestellungen im Rahmen der Datenauswertung)? Es sollte eines sein, welches die Person besonders gut erinnert und das auch für die gegenwärtige politische Diskussion bedeutsam sein kann. Ganz allgemein können die Themen eines OH-Projektes solche sein, die sich, wie gesagt, auf jede Altersgruppe – auch die eigene – beziehen. D. h., diese Methode ist auch bei Interviews zu aktuellen politischen Ereignissen im Rahmen der Klasse anwendbar. Weiters muss gesichert sein, dass das Interview auf Tonträgern bzw. auf Video aufgezeichnet und den Datenschutzrichtlinien (Verschwiegenheitspflicht, Anonymisierung) entsprochen wird. Eine Videoaufzeichnung bietet den Vorteil, dass auch nonverbale „Äußerungen“ einbezogen und interpretiert werden können. Bei OH wird also nicht auf Daten von anderen – z. B. Meinungsforschungsinstituten – zurückgegriffen, sondern es werden die Daten selbst hergestellt. Für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Interviews sind Dreier-Teams sinnvoll. Datenerhebung – Interviewführung 1. Die Interviewsituation zeichnet sich durch Respekt und Höflichkeit aus und ist gleichzeitig von kritischer Distanz getragen. Im Rahmen einer nachbereitenden Reflexion werden Fragen wie die folgenden bearbeitet: Wie wirkt die Person auf mich? Beeindruckt oder vereinnahmt sie mich? Welche positiven oder negativen Vorurteile habe ich ihr gegenüber? Die Ergebnisse dieser Reflexionen werden bei der Datenauswertung mit einbezogen. 2. Der Gesprächsbeginn ist an die Alltagskommunikation angelehnt – z. B. beginnt man mit Erkundigungen über das Befinden, die Situation im Gesprächsraum etc. 3. Die Einstiegsfrage besteht meist darin, die Interviewperson aufzufordern, über das Thema zu erzählen. Der Erzählstrom sollte nicht unterbrochen werden. Bei Erzählpausen sollte vorsichtig angeregt werden, noch nicht Erwähntes zu ergänzen etc. Nachfragen zur Klärung, Erläuterung, Präzisierung sollten erst am Ende gestellt werden. Im Lauf des Gesprächs sollte jedenfalls auch geklärt werden, was das für die Interviewperson damals wie heute Besondere am Erlebten darstellt und warum bzw. wie es ihrer Meinung nach die gegenwärtige politische Sichtweise und Diskussion beeinflusst. 4. Das Interview wird wörtlich verschriftlicht (transkribiert). Sprachliche „Unebenheiten“ (Wortwiederholungen, unrichtige Satzkonstruktionen etc.) können dabei geglättet, Dialekteinfärbungen in normale Schriftsprache übergeführt werden. Die Zeilen werden fortlaufend nummeriert, um später unter Angabe der Zeilennummer genau zitieren zu können. Mittels der Interviews werden also Daten hergestellt. Mit Hilfe der Transkription werden diese „gespeichert“. Nun folgt die Auswertung, d. h. die Analyse und Interpretation. 105 Das bipolare Weltsystem und sein Zusammenbruch Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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